0493 - Janes Umkehr
überhaupt nicht verfehlen.
Was sollte sie tun?
Viel Zeit hatten beide nicht. Die Bahn fuhr, bis zur nächsten Station war es nicht mehr weit, und dort sollte Glenda bereits tot sein, wenn es nach der Unbekannten ging.
Bewaffnet war die dunkelhaarige Frau nicht. Sie mußte sich schon irgendwie anders zur Wehr setzen. Das tat sie auch, bevor die Unbekannte zustoßen konnte.
Die andere Person hatte nicht bemerkt, daß Glenda den Fuß anhob. Sie schob das Bein etwas vor und rammte den Fuß nach unten. Mit dem Absatz hart auf die Zehen der Messerträgerin. Es war Glenda eigentlich selbst zuwider, nur sah sie keine andere Möglichkeit, dieser lebensgefährlichen Situation zu entgehen.
Die Frau mit der Sonnenbrille war hart im Nehmen. Sie mußte brutal erwischt worden sein, doch kein Laut des Schmerzes drang über ihre Lippen. Sie preßte den Mund noch fester zusammen, zuckte aber, und Glenda, die ihre Tasche umgehängt hatte, so daß sie von ihr nicht behindert wurde, löste die linke vom Haltegriff. Mit beiden Händen umklammerte sie das Messergelenk der Frau. Sie drückte den Arm nach hinten, während die Unbekannte ihr Widerstand entgegensetzte.
»Keine Chance, Glenda, keine Chance. Ich erwische dich immer.«
Glenda erwiderte nichts. Keiner der anderen Fahrgäste merkte etwas von diesem stillen, aber gnadenlosen Kampf der beiden Frauen. Die Menschen waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
»Du stirbst noch vor dem nächsten Stopp!« versprach die Unbekannte. »Noch vor dem nächsten Stopp…«
Glenda hielt sich zurück. Aber sie spürte, daß die Frau ihre Kräfte verdoppelte. Obwohl Glenda deren Gelenk noch immer mit beiden Händen hielt, konnte sie gegen die Kraft der anderen Person nichts ausrichten.
Plötzlich löste Glenda die linke Hand. Sie mußte es anders versuchen, riß den Arm hoch und krallte plötzlich die Finger in das Gesicht der Unbekannten, dicht unter der Sonnenbrille, wo sie noch Haut sah und zupacken konnte.
Glenda bewegte die Fingerkuppen nach vorn, wobei sie das Gefühl hatte, sie zu Messern umgewandelt zu haben, denn es gelang ihr, durch die Haut zu fassen.
Sie war weich. Die Nägel bohrten sich tiefer. Eine weiche Masse quoll plötzlich hervor, und Glenda hörte das Ächzen der Frau, die den Kopf zur Seite drehte und auch die Hand mit dem Messer zurückzog.
Erst jetzt wurden andere Fahrgäste aufmerksam.
»He, was ist denn mit euch beiden Weibern los?« fragte jemand in der Nähe. Er war von der Sonnenbrillenfrau gerempelt worden. »Ich will hier meine Zeitung lesen.«
»Entschuldigen Sie«, sagte Glenda, während sich die Hexe zur Seite gebückt hatte und ihre Hände dorthin preßte, wo sich die Wunde in der Wange befand.
»Schlagt euch draußen weiter.«
»Das werden wir auch.«
Glenda versuchte, sich zurückzuziehen. Es war nicht so einfach, aber sie war der Klinge vorerst entgangen.
Die Unbekannte stand noch gebückt. Glenda starrte auf das Gesicht. Dort schien sich die Haut regelrecht verschoben zu haben, als wäre sie eine künstliche Masse. Viel mehr sah Glenda nicht, weil sich zwischen sie und die Sonnenbrillenträgerin zwei Fahrgäste geschoben hatten. Jedenfalls hatte die Unbekannte Glendas Namen gekannt. Sie waren nicht zufällig zusammengetroffen. Dahinter steckte ein teuflischer Plan.
Die Fahrt bis zum nächsten Stopp erschien ihr unwahrscheinlich lang. Was sonst eine nur kurze Sache war, verlängerte sich dermaßen, daß Glenda Herzklopfen bekam. Die Gefahr war nicht vorbei. Zwar glaubte sie nicht daran, daß die Unbekannte noch einen Versuch in dem Wagen starten würde, aber wer so konsequent vorging, der würde Glenda auch weiterhin auf den Fersen bleiben.
Sie schielte zur Tür.
Körper versperrten ihr den Weg. Noch huschten draußen die dunklen Tunnelwände vorbei, manchmal unterbrochen von einem rötlichgelben Lichtschimmer. Wann wurde der Zug endlich langsamer?
Glenda wußte es nicht, sie drückte sich selbst die Daumen und atmete zischend aus, als sie merkte, das die Wagen an Geschwindigkeit verloren.
Sie warf einen raschen Blick über die Schulter. Von der Unbekannten sah sie nur den Rücken. Sie hatte sich bewußt abgedreht, doch Glenda rechnete mit einer Täuschung. Die würde so leicht nicht aufgeben, das stand fest.
Der Bahnsteig erschien…
Lichter, Menschen, Personen, die dem einlaufenden Zug entgegenhasteten. Alles war völlig normal, keine große Angst bei den Fahrgästen, nur Glenda spürte diesen Druck.
Der Zug hielt.
Sie atmete auf,
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