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0493 - Todestanz der Nixe

0493 - Todestanz der Nixe

Titel: 0493 - Todestanz der Nixe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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murmelte er wie in Trance. »Ich muß ihren Namen wissen.«
    ***
    Die Nixe tanzte über den Wassern, so wild und so fantasievoll, wie sie es nie zuvor getan hatte. Sie folgte einer unhörbaren Melodie, die nur in ihrem Inneren erklang. Jetzt, an der Oberfläche des Wassers, spürte sie die Nähe der entarteten Sonne deutlicher denn je. Aber sie empfing kein Echo. Sollte ihr Tanz vergebens gewesen sein? Sollte der von dem sie Erlösung erhoffte, sie nicht bemerken? Er konnte ihr doch helfen, nicht mehr töten zu müssen!
    Ihr Tanz erschöpfte sie, und nach einer Weile sank sie wieder in die Fluten zurück.
    ***
    Wieder an Deck, sah Zamorra zur Küste hinüber. Nicole trat neben ihn. »Was ist los?« wollte sie wissen. »Du machst auf mich den Eindruck, zum Schlafwandler geworden zu sein. Und was sollte vorhin in der Kabine die Bemerkung über den Namen? Wessen Namen?«
    Er zuckte zusammen. »Bitte? Was sagtest du eben?«
    Sie wiederholte ihre Worte, aber schon während sie sprach, bemerkte sie abermals seine geistige Abwesenheit. Sie rüttelte ihn. »He, hörst du mir eigentlich überhaupt nicht zu? Ich rede mit dir, Chef!«
    Wenn sie ihn »Chef« nannte, wurde es kritisch. »Ich denke nach«, sagte er leise. »Bitte, laß mich ein wenig in Ruhe. Ich muß alles erst einmal sortieren. Zum ›Captain’s Dinner‹ werde ich wohl wieder ansprechbar sein.« Er lehnte sich über die Reling und sah wieder zum fernen Ufer.
    »Was ist denn an dieser Küstenlandschaft so Besonderes, daß du sie pausenlos anstarrst?« murrte Nicole. Als Zamorra nicht mehr reagierte, wandte sie sich schließlich ab.
    Derweil kreisten Zamorras Gedanken um das Bild, das Segrelle unmittelbar vor seinem Tod noch in aller Hektik vollendet hatte. Die tanzende Nixe mit dem Schlangenleib war sicher keine Fantasiegestalt, die Segrelle einfach so erfunden hatte. Alle anderen Bilder hatten ja ebenfalls einen sehr realen Hintergrund. Wenn es anders gewesen wäre, hätte Zamorra diesem Gemälde keine so große Bedeutung zugemessen. Er griff in die Tasche und zog Segrelles Skizzenheft hervor, das er in der Kabine eingesteckt hatte, um es später in Ruhe betrachten zu können. Es war fast voll mit Entwürfen und auch richtigen, ausgefeilten Bildchen. Jedes davon, sogar die flüchtigen Skizzen war mit einem kleinen VS für Valeron Segrelle und dem Datum versehen; die Daten folgten hageldicht aufeinander. Zumindest in den letzten fünf Wochen mußte Segrelle praktisch jede freie Minute benutzt haben, um in diesem Skizzenheft zu kritzeln. Ein Künstler, der die Bilder vor seinen Augen unverzüglich umsetzen mußte, um nicht von ihnen erstickt zu werden. Vermutlich besaß er Hunderte dieser Skizzenhefte. Und alles, was er hier gezeichnet hatte, war realistisch. Nur das Gemälde mit der Nixe fiel scheinbar aus dem Rahmen. Oder war dieses Fabelwesen vielleicht auch real?
    Valeron Segrelle hatte die Nixe gesehen!
    War er deshalb gestorben? Brachte ihr Anblick den Tod, wo wie Menschen zu Stein wurden, wenn sie das Schlangenhaupt der Medusa erblickten? Mit ihr und ihren beiden Gorgonenschwestern, die es heute nicht mehr gab, hatte Zamorra vor Jahren auch ein paar herbe Sträuße ausgefochten. Vermutlich war er der einzige, der den Anblick der Schlangenhaare überlebt hatte. Und auch ihn hätte es damals um ein Haar erwischt.
    Aber wenn der Anblick dieser Nixe zu Segrelles Tod geführt hatte, dann nur zeitversetzt. Immerhin hatte er sie noch gemalt, und selbst wenn er mit den Farben sehr schludrig umgegangen war und ihnen nicht einmal genügend Zeit zum Trocknen gegeben hatte, brauchte das doch seine Zeit.
    »Es ist logisch«, murmelte Zamorra. »Er spürt, daß er sterben wird, aber er will einen Hinweis auf seinen Mörder beziehungsweise auf die Ursache seines Todes geben. Deshalb muß er sich auch beeilen, er weiß, daß es mit ihm zu Ende geht, und er will das Bild vor seinem Tod fertig haben. Der klassische Fall.« Es gab Fälle, in denen die Sterbenden mit ihrem eigenen Blut Hinweise geschrieben hatten; der Kriminalistikautor Pierre Lykoff berichtete in einem vor annähernd sieben Jahren erschienen Werk von einem Opfer, das in einer Art Verließ eingeschlossen wurde und, weil es keine Fluchtmöglichkeit mehr gab, vor seinem Tod einen Hinweis in die eigene Schädeldecke ritzte; aufgrund des Skelettfundes hatte der Fallensteller und Mörder nach vielen Jahren identifiziert werden können. Zu Segrelle, dem Künstler, paßte dagegen, daß er diesen Hinweis in einem

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