0494 - Als Köder in der Todesfalle
Cummings von der Fernschreiberzentrale legte Neville das Blatt mit einem wohlmeinenden Lächeln auf den Tisch.
»Na, nun werden Sie ja wohl nach Hause gehen können«, meinte er und wandte sich zur Tür.
Neville überflog das Schreiben schnell und sprang im selben Augenblick vom Stuhl auf. Sein altes, vernarbtes Gesicht wirkte in diesem Moment um Jahre gealtert.
Er griff zum Hörer und wartete, bis sich die Zentrale meldete. Das dauerte genau zwei Sekunden. Als er das Girl von der Vermittlung hörte, sagte er schnell: »Bitte sofort einen Anruf zu Mr. High und Phil Decker. Sie können mich mit beiden in einer Konferenzschaltung verbinden.«
Neville hatte gerade erst den Hörer aufgelegt, als das Telefon wieder schrillte. Mr. High und Phil meldeten sich gleichzeitig.
»Ich habe ein Fernschreiben aus Washington bekommen«, sagte Neville in den Hörer. »Die Fingerprints stimmen nicht.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Er wusste auch so, dass Mr. High und Phil so schnell wie möglich zum Distriktgebäude kommen würden.
***
Lange, bevor ich mich regte, die Augen öffnete, mich entschließen konnte, überhaupt etwas zu tun, kam das Bewusstsein zurück. Ich tauchte aus einer tiefen Dunkelheit empor und glaubte für einen Augenblick auf einem sich drehenden Karussell zu sitzen. Dann schien ich auf einem schaukelnden Boot zu stehen. Plötzlich fuhr ich wieder in endlose Tiefen, überschlug mich dabei fortwährend und wirbelte mit Armen und Beinen hilflos in der Luft herum.
Endlich wurde es wieder ruhiger um mich. Ich stieg empor, kam zur Schwelle des Bewusstseins. Ich konnte wieder denken, wieder fühlen. Mit dieser Feststellung stellten sich auch die Schmerzen bei mir ein.
Mein Genick schmerzte, mein Kopf schmerzte, und meine Arme schmerzten.
Ich versuchte, die Augen zu öffnen, die Lider waren bleischwer.
Ich versuchte, die Arme zu bewegen. Es war eine Strapaze.
Irgendwo hörte ich ein Rauschen. Es kam mir bekannt vor, das konnte nur das Blut in meinen Ohren sein.
Meine Hand tastete herum, ich stieß gegen einen Gegenstand. Vorsichtig bemühte ich mich erneut, die Augen zu öffnen. Diesmal gelang es.
Grelles Sonnenlicht stach mir in die Pupillen. Dabei lag ich auf dem Rücken und entdeckte plötzlich ein paar-Vögel, die mit ausgebreiteten Flügeln am Himmel kreisten. Das Stechen in den Pupillen ebbte langsam ab und verschwand.
Ich versuchte, mich aufzurichten. Nur mühsam gelang es. Dann sah ich ihn, den Mann den ich vor dem Ertrinken gerettet hatte.
Er hielt eine Pistole in der Hand. Die Mündung deutete genau auf meinen Magen wie vorher die Spitze der Harpune.
Ich hatte in diesem Augenblick die Energie einer halb verhungerten Maus. Was sollte das alles noch. Ich war erledigt. Sollte ich einen Angriff im Zeitlupentempo starten. Vielleicht eine Gerade abschießen, die er nach meinen augenblicklichen Kräften nur als Kitzeln auffassen konnte? Nein, er sollte wenigstens keinen Spaß daran haben mich zu erwischen.
»Hallo«, grinste mich der Mann mit der Pistole an. »Sie waren ja fast eine halbe Stunde weg.«
Meine Zunge kam mir so geschwollen vor, als sei sie ein Zwei-Kilo-Steak. Umso mehr wunderte ich mich, dass ich sogar deutlich sprechen konnte.
»Zeit genug für Sie, um sich eine Pistole zu verschaffen, was?«
Der Mann nickte. Er hatte eine dunkelbraune Hautfarbe. Wahrscheinlich war er ein Filipino. »Das war Glücksache. Ich hatte sie mit meinen Kleidern vorher am Strand versteckt.«
Erst jetzt kam mir zu Bewusstsein, dass er nicht mehr seine Taucherausrüstung, sondern einen ganz normalen Anzug trug.
»Warum haben Sie gewartet, bis ich das Bewusstsein wiedererlangte?«, fragte ich ihn.
»Ich lasse mir nicht gerne etwas schenken. Besonders nicht von einem Bullen.«
Einen Augenblick war ich überrascht. Dann fragte ich: »Wie kommen Sie darauf, dass ich ein Polizist sein soll?«
Der Lauf seiner Pistole hob sich etwas und deutete auf meinen Hals. »Ziehen Sie sich lieber wieder ein Hemd an. Bei bloßem Hals erkennt man den Ansatz Ihrer Plastikmaske. Das Ding ist übrigens gutgemacht. Hätte nie gedacht, dass die Polizei über solche Könner verfügt.«
Er meinte den Hersteller der Plastikmaske, die ich trug. Seit einigen Monaten schminkten wir uns nicht mehr, wenn wir uns verkleiden wollten, sondern ließen uns immer täuschend ähnliche Plastikmasken über den Kopf stülpen. Das hatte den Vorteil, dass sie nicht verrutschen konnten. Mit Plastik und Knetolin wurden den Masken auch immer die
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