0496 - Das Knochenhaus
nachgegrübelt. Es mußte etwas Furchtbares in diesem Haus geschehen sein, das noch immer lauerte. Und es hing irgendwie mit einer alten, gefährlichen Kraft zusammen, die bei den Kelten ihren Ursprung besessen hatte.
»Ich muß es zerstören!« hatte er immer wieder gesagt. »Ich darf es nicht am Leben lassen!«
Maya war immer dagegen gewesen, aber Eric wollte die Menschen retten, obwohl diese ihnen oft genug übel mitgespielt hatten.
Eric ließ sich von seinem Plan einfach nicht abbringen. Er hatte immer wieder geforscht, nachgelesen und suchte Verbündete, bis er auf den Namen John Sinclair gestoßen war.
Durch sein zweites Gesicht und durch das Kreuz, das einmal einer Zigeunerin gehört hatte. Anschließend war Eric in seinen Nachforschungen voll aufgegangen und hatte John Sinclair endlich in London gefunden und sich mit ihm verabredet.
Zu einem Treffen zwischen den beiden war es nun leider nicht mehr gekommen. Wäre dies der Fall gewesen, dann wäre Eric sicherlich noch am Leben.
Was hatte ihn so getrieben, es auf eigene Faust zu versuchen? Darüber dachte seine Schwester nach, ohne allerdings zu einem Resultat zu kommen. Was den Stein ins Rollen gebracht hatte, mußte tief in seinem Innern gewesen sein.
Maya schaute auf die drei Kerzen. Zur Hälfte waren sie schon herabgebrannt. Der dreiarmige Leuchter, in dem die Kerzen steckten, gehörte zu den wertvollsten Gegenständen der Wohnwageneinrichtung. Er stammte aus einer sehr alten Zeit und war von Eric in einer Höhle gefunden worden.
Mayas Bruder hatte ihn stets gehütet wie einen Augapfel, aus ihm hatte er so etwas wie Kraft geschöpft. Er sollte auch der Wegweiser sein zu den anderen Dingen, den metaphysischen, ein Katalysator für das zweite Gesicht des Mannes.
Maya schaute in die Flammen. Sie konnte nicht mehr weinen. Ihre Augen schmerzten, sie waren gerötet, sicherlich zeichneten dicke, dunkle Ringe die Haut.
In genauen Abständen standen die drei Kerzen auseinander. Drei Flammen, die an verschiedenen Stellen ihr weiches Licht abgaben, als würden sie ihr eine Botschaft übermitteln.
Zu den Fähigkeiten Mayottes gehörte es auch, in eine Art von Trance fallen zu können.
Das genau passierte mit Maya!
Zwar saß sie nach wie vor auf dem Stuhl, doch sie hatte plötzlich das Gefühl, zu schweben. Sie sah sich über den Dingen. Der Raum um sie herum schrumpfte, dafür nahm die Helligkeit zu, und die drei Kerzenflammen veränderten sich zu Lichtsäulen, die wie Schwerter vor ihr standen, um sich einen Moment später zu vereinigen und einen Kreis zu bilden.
Einen hellen Kreis.
Hell wie Knochen, wie Gebein…
Und mit einem Bild darin, einem schattenhaften Etwas, das allerdings kantige Umrisse besaß.
Es war ein Haus!
Maya saß starr, aber sie schrak innerlich zusammen, als sie dieses Haus sah, das tatsächlich helle Mauern besaß und keinen direkten Kontakt mehr mit dem Boden hatte, denn es schwebte, und es stand gleichzeitig auf einem gewaltigen Totenschädel.
Dieser Totenkopf wirkte wie ein makabres Fundament. Er war eine Stütze und gleichzeitig ein Zeichen für die Vergänglichkeit. Konnte es einen besseren Hinweis auf die Kräfte geben, die innerhalb dieses unheimlichen Hauses existierten?
Maya beobachtete weiter. Ohne es direkt zu merken, speicherte ihr Hirn jedes Detail. Sie erkannte auch den Hintergrund, einen weiten, von Blitzen gespaltenen Himmel.
Die zackigen Speere schossen aus den dunklen Wolkeninseln, als wären sie von den Händen einiger Riesen gegen den Erdboden geschleudert worden. Maya glaubte sogar den fernen Donner zu hören, sie sah den Wind, der über eine mit hohem Gras bewachsene Ebene vor dem Haus wehte und auch die Baumkronen weit hinter dem Gebäude schüttelte, als wollte er sie auseinander reißen.
Bilder einer fremden Macht, einer unheimlichen Kraft, der es gelungen war, ihr Reich zu verlassen und an die Oberfläche zu kommen, wo sie von vielem Besitz ergreifen wollte.
Dieses Haus gehörte dem Tod. Es sah äußerlich nicht einmal abweisend aus, doch wehe dem, der die helle Eingangstür aufriß und die Schwelle überschritt.
Er war verloren.
Wie Eric Mayotte!
Noch immer stand und schwebte das Gebäude mit dem gewaltigen Totenschädel über dem Untergrund. Allmählich aber senkte es sich herab, das Bild zeigte nicht mehr die Schärfe, die Umrisse zerflossen zu einem breiigen Schein und bestanden anschließend nur mehr aus dem grellen Licht, dessen Intensität aber auch abnahm, so daß es sich teilte und
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