05 - Denn bitter ist der Tod
keine Verhütungsmittel nahm?«
»Über dieses Thema haben wir nie gesprochen. Ich sah keine Notwendigkeit dazu.«
»Aber Dr. Herington«, sagte Helen impulsiv, »ein Mann Ihres Alters hätte doch nicht der Frau die alleinige Verantwortung für die Verhütung überlassen? Sie müssen doch mit ihr darüber gesprochen haben.«
»Ich sah keine Notwendigkeit dazu«, wiederholte er.
Lynley dachte an die Pillenpackungen, die Barbara Havers in Elena Weavers Schreibtisch gefunden hatte, und er erinnerte sich der Mutmaßungen, die er und Havers darüber angestellt hatten. »Dr. Herington, waren Sie der Überzeugung, sie nähme irgendein Verhütungsmittel? Hat sie Ihnen das gesagt?«
»Um mich zu täuschen, meinen Sie? Nein. Sie hat nie ein Wort über Verhütungsmittel gesagt. Es war auch nicht nötig, Inspector. Für mich hätte es keinen Unterschied gemacht, ob sie etwas nahm oder nicht.« Er griff nach seinem Cognacglas und drehte es langsam auf seiner Handfläche.
Lynley beobachtete sein Mienenspiel und glaubte Unsicherheit zu sehen. »Ich habe den deutlichen Eindruck«, sagte er, »daß Sie meinen Fragen ausweichen. Vielleicht würden Sie mir verraten, was Sie zurückhalten.«
Victor Herington sah Lynley einen Moment nachdenklich an, dann sagte er: »Ich wollte Elena heiraten. Schon deshalb war mir die Schwangerschaft willkommen. Aber das Kind war nicht von mir.«
»Es war nicht...«
»Sie wußte das nicht. Sie glaubte, ich sei der Vater. Und ich habe sie in dem Glauben gelassen. Aber leider war ich nicht der Vater.«
»Sie scheinen sicher zu sein.«
»O ja, Inspector.« Herington lächelte traurig. »Ich hatte vor fast drei Jahren eine Vasektomie. Elena wußte das nicht. Und ich habe es ihr auch nicht gesagt. Ich habe es keinem Menschen gesagt.«
Vor dem Haus, in dem Victor Heringtons Räume sich befanden, war eine Terrasse mit Blick auf den Cam. Mehrere Urnen mit Grünpflanzen standen dort und einige Bänke, auf denen - bei schönem Wetter - Mitglieder des College die Sonne genießen und dem Gelächter der jungen Leute lauschen konnten, die versuchten, mit einem Kahn den Fluß hinunter zur Seufzerbrücke zu staken.
Der Wind der letzten beiden Tage war deutlich abgeflaut. Nur hin und wieder fuhr ein kurzer, schwacher Windstoß über die Grünanlagen, und dann klang es, als seufzte die Nacht. Aber selbst diese Böen würden sich schließlich legen, und dann würde der Nebel wieder Einzug halten.
Es war kurz nach zehn. Das Jazzkonzert hatte geendet, kurz bevor sie bei Victor Herington weggegangen waren. Die Stimmen heimkehrender Studenten hallten noch durch den Hof, aber niemand näherte sich der Terrasse, auf die sie zusteuerten.
Sie wählten eine Bank am Südende, wo eine Mauer sie vor den Windböen schützte. Lynley setzte sich und zog Helen neben sich. Er nahm sie fest in den Arm. Er drückte seinen Mund an die Seite ihres Kopfes, nur um sie zu spüren, und in Antwort auf die Berührung ließ sie ihren Körper an seinen sinken und blieb so, einen stetigen sanften Druck ausübend. Sie sprach nicht, aber er glaubte zu wissen, was ihr durch den Kopf ging.
Victor Herington hatte, wie es schien, zum ersten Mal die Möglichkeit gesehen, über sein tiefes Geheimnis zu sprechen, und es war ihm ergangen wie den meisten Menschen, die eine Lüge leben; es hatte ihn gedrängt, sich alles von der Seele zu reden. Aber während er sprach, hatte Lynley gesehen, wie Helens anfängliche Sympathie für den Mann allmählich umschlug. Ihre Haltung veränderte sich, wurde abweisend. Ihre Augen verdunkelten sich. Und obwohl dies ein Gespräch war, das für seine Ermittlungen in einem Mordfall von entscheidender Bedeutung war, konnte Lynley nicht umhin, ebenso sehr auf Helen zu achten wie auf Heringtons Bericht. Er wollte sie um Verzeihung bitten - im Namen aller Männer - für die Vergehen an den Frauen, die Herington anscheinend ganz ohne Gewissensbisse aufzählte.
Herington hatte sich am Stummel seiner zweiten Zigarette eine dritte angezündet. Er hatte sich noch einmal Cognac eingeschenkt und hielt beim Sprechen den Blick auf die Flüssigkeit in seinem Glas gerichtet, auf das schwimmende kleine goldgelbe Oval, in dem sich die Deckenbeleuchtung brach. Er sprach mit leiser Stimme, ganz offen.
»Ich wollte leben. Das ist im Grunde die einzige Entschuldigung, die ich habe, und viel ist das nicht, ich weiß. Ich war bereit, die Ehe wegen der Kinder aufrechtzuerhalten. Ich war bereit zu heucheln und heile Welt zu spielen. Aber
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