05 - Denn bitter ist der Tod
aus, sich auf diese Weise benutzt zu wissen?«
»Nein. Ich bekam ja auch, was ich wollte. Von Weihnachten an haben wir uns mindestens dreimal die Woche getroffen.«
»Hier?«
»Im allgemeinen, ja. In den Sommerferien bin ich mehrmals nach London gefahren, um sie zu sehen. Während des Semesters haben wir uns ein-, zweimal auch am Wochenende im Haus ihres Vaters gesehen.«
»Wenn er zu Hause war?«
»Nein, nein.«
»Und er hat nichts gemerkt?«
»Nein. Justine - seine Frau - wußte es. Sie hat es irgendwie herausbekommen, vielleicht hat auch Elena es ihr gesagt, ich weiß es nicht.«
»Aber sie hat es ihrem Mann nie gesagt?«
»Nein, Inspector, sie wird sich gehütet haben, ihm etwas zu sagen. Da hätte Anthony nach Manier der alten Griechen reagiert, die den Überbringer schlechter Nachrichten zu töten pflegten. Das hat Justine natürlich genau gewußt. Darum hat sie den Mund gehalten. Ich vermute, sie wartete darauf, daß Anthony selbst dahinter kommen würde.«
»Aber dazu kam es nie.«
»Nein.« Herington nahm wieder sein Zigarettenetui aus dem Jackett. Doch er spielte nur damit. Er öffnete es nicht. »Aber er hätte es natürlich früher oder später erfahren.«
»Von Ihnen?«
»Nein. Ich denke, dieses Vergnügen hätte sich Elena nicht nehmen lassen.«
Lynley fand Heringtons Gewissenlosigkeit in bezug auf Elena unbegreiflich. Er hatte offenbar keinerlei Notwendigkeit gesehen, ihr zu helfen, mit dem Groll gegen ihren Vater auf andere Weise fertigzuwerden.
»Dr. Herington, eines verstehe ich nicht...«
»Warum ich bei dem Spiel mitgemacht habe?« Herington legte das Zigarettenetui neben den Cognacschwenker auf den Tisch. »Weil ich sie geliebt habe. Erst war es ihr Körper -dieser wunderschöne Körper. Aber dann war sie selbst es. Elena. Sie war unglaublich lebendig und eigenwillig, sie war nicht zu zähmen. Und das wollte ich in meinem Leben. Der Preis war mir gleichgültig.«
»Sie wären sogar bereit gewesen, sich als der Vater ihres Kindes auszugeben.«
»Selbst dazu, Inspector.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer der Vater war?«
»Nein. Aber seit letzten Mittwoch habe ich endlos über diese Frage nachgedacht.«
»Und zu welchem Schluß sind Sie gekommen?«
»Immer wieder zu demselben. Wenn ihr die Beziehung zu mir nur Mittel zur Rache an ihrem Vater war, dann war das bei dem anderen Mann nicht anders. Es hatte mit Liebe nichts zu tun.«
»Aber obwohl Sie das alles wußten, wollten Sie mit ihr ein gemeinsames Leben anfangen?«
»Erbärmlich, wie? Ich wollte wieder Leidenschaft. Ich wollte mich lebendig fühlen. Ich habe mir eingeredet, ich würde ihr guttun. Ich dachte, mit mir würde sie es mit der Zeit schaffen, ihren Groll gegen ihren Vater aufzugeben. Ich bildete mir ein, ich sei der Richtige für sie, ich könnte sie heilen. Eine pubertäre kleine Phantasie, an der ich bis zum Ende festgehalten habe.«
Helen sagte: »Und Ihre Frau?«
»Ich hatte ihr doch nichts von Elena gesagt.«
»Das meinte ich nicht.«
»Ich weiß«, sagte er. »Sie meinten, ob ich überhaupt nicht daran gedacht habe, daß Rowena unsere Kinder zur Welt gebracht hatte, daß sie täglich meine Wäsche wusch und mir das Essen kochte und mein Haus saubermachte. Ob ich überhaupt nicht an die siebzehn Jahre Liebe und Loyalität gedacht habe, an meine Verpflichtung ihr gegenüber. Das haben Sie gemeint, nicht wahr?«
»Ja, wahrscheinlich.«
Er wandte sich von ihnen ab, den Blick ins Leere gerichtet. »Unsere Ehe war nur noch eine Farce.«
»Es würde mich interessieren, ob Ihre Frau das auch so sieht.«
»Rowena möchte aus dieser Ehe genauso heraus wie ich. Sie weiß es nur noch nicht.«
Jetzt, in der Dunkelheit auf der Terrasse, fühlte sich Lynley nicht nur von Heringtons Einschätzung seiner Ehe bedrückt, sondern auch von der Mischung aus Widerwillen und Gleichgültigkeit, die er seiner Frau gegenüber bekundet hatte. Er wünschte, Helen wäre bei diesem Gespräch nicht dabei gewesen. Denn während Herington ohne Gefühl seine Abkehr von seiner Frau und seine Suche nach der Gesellschaft und der Liebe einer Frau dargelegt hatte, glaubte Lynley endlich wenigstens teilweise verstanden zu haben, was Helens Weigerung, ihn zu heiraten, zugrunde lag.
Was wir von ihnen verlangen, dachte er. Was wir erwarten, was wir fordern. Aber niemals, was wir selbst zu geben bereit sind. Niemals, was sie wollen. Und niemals ein gründlicher Blick auf die Last, die wir ihnen mit unseren Wünschen und Forderungen
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