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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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der Hand und unter dem Arm eine zusammengerollte Leinwand. »Die hatte mein geschiedener Mann in seinem Arbeitszimmer, ganz hinten in einer Schublade. Ich habe ihn dabei ertappt, wie er sie sich angesehen hat. Er hat dabei geweint. Vor einer Stunde ungefähr. Kurz bevor er weggegangen ist. Schauen Sie sich die Bilder selbst an.
    Sie reichte ihm zuerst die Hefter. Er blätterte die Skizzen durch. Alle zeigten sie Elena Weaver, alle schienen sie von derselben Hand zu stammen. Sie waren gut, er bewunderte ihre Ausdruckskraft. Aber keine konnte als Mordmotiv interpretiert werden. Er wollte das Glyn Weaver sagen, als sie ihm die Leinwand hinhielt.
    »Und jetzt sehen Sie sich das an«, sagte sie.
    Er rollte die Leinwand auf. Er ging in die Knie, um sie auf dem Boden auszubreiten. Sie war sehr groß, und man hatte sie einmal gefaltet, ehe man sie aufgerollt hatte. Die ganze Leinwand war mit Farbe zugeschmiert. Zwei lange Schnitte oder Risse liefen diagonal zur Bildmitte, wo sie mit einem kürzeren Riß zusammentrafen. Die Kleckse stammten von großen Farbklumpen - weiß und rot vor allem -, die, wie es schien, mit einem Palettenmesser willkürlich auf der Leinwand verschmiert worden waren. Wo sie nicht ineinanderliefen oder sich überlappten, schimmerten die Farben eines anderen Ölgemäldes durch. Er richtete sich auf, und während er auf die Leinwand hinuntersah, begann er zu verstehen.
    »Und das hier«, sagte Glyn. »Ich habe es in der Rolle gefunden, als ich sie zum ersten Mal ausgebreitet habe.«
    Sie drückte ihm ein kleines Messingschildchen in die Hand - vielleicht fünf Zentimeter lang und zwei Zentimeter breit. Er nahm es und hielt es ans Licht, obwohl er schon wußte, was er sehen würde. Elena stand in geschwungener Schrift darauf.
    Er sah Glyn Weaver an. Sie genoß diesen Moment. Er wußte, daß sie auf einen Kommentar von ihm wartete, aber er fragte statt dessen: »Ist Justine Weaver in der Zeit, seit Sie in Cambridge sind, morgens gelaufen?«
    Das war offensichtlich nicht die Reaktion, die sie von ihm erwartet hatte. Mit mißtrauisch zusammengekniffenen Augen sah sie ihn an und sagte kurz: »Ja.«
    »Im Trainingsanzug?«
    »Jedenfalls nicht im Chanel-Kostüm.«
    »Welche Farbe, Mrs. Weaver?«
    »Welche Farbe?« Mit einem Anflug von Empörung darüber, daß er das ruinierte Gemälde und das, was man daraus entnehmen konnte, völlig unerwähnt ließ.
    »Ja, welche Farbe.«
    »Schwarz«
    »Wieviele Beweise wollen Sie denn noch, daß Justine meine Tochter gehaßt hat?« Glyn Weaver folgte ihm aus dem Wintergarten hinaus. »Was braucht es denn noch, um Sie zu überzeugen?«
    Sie hielt ihn am Arm und zog, bis er sich nach ihr umdrehte. Er stand so dicht neben ihr, daß er ihren Atem in seinem Gesicht fühlte und den öligen Fischgeruch wahrnahm, wenn sie ausatmete.
    »Er hat Elena gezeichnet und nicht seine Frau. Er hat Elena gemalt und nicht seine Frau. Und sie mußte zusehen. Hier in diesem Wintergarten. Denn hier ist das Licht gut, und er hat sie sicher in gutem Licht malen wollen.«
    Lynley lenkte den Wagen in die Bulstrode Gardens. Der Schein der Straßenlampen drang milchig durch den Nebel. Er fuhr den Wagen über einen glitschigen Teppich feuchter Blätter, die von Birken am Rand des Grundstücks herabgefallen waren, direkt in die halbrunde Auffahrt und hielt an. Einen Moment blieb er noch sitzen und dachte, den Blick auf das Haus gerichtet, über die Art der Beweisstücke nach, die er bei sich hatte, über die Skizzen von Elena und was sie über das zerstörte Gemälde sagten. Er dachte an das Schreibtelefon, und vor allem spielte er mit der Zeit. Denn an der Zeit hing der ganze Fall.
    Zuerst, so hatte Glyn Weaver gemeint, hatte sie das Bild zerstört. Als ihr das keine bleibende Befriedigung verschafft hatte, hatte sie das Mädchen selbst vernichtet, ihr Gesicht zerstört wie sie das Gemälde zerstört hatte, brutal und gewalttätig, um ihrer rasenden Wut Luft zu machen.
    Aber das war Spekulation. Nur zum Teil kam es der Wahrheit nahe. Er klemmte die Leinwand unter den Arm und ging zur Tür.
    Harry Rodger machte ihm auf. Christian und Perdita standen hinter ihm. Er sagte nur: »Du willst zu Pen?« und dann zu seinem Sohn: »Lauf und hol Mami, Chris.«
    Der kleine Junge stürmte, ein Steckenpferd in den Händen »Mami! Mami!« rufend die Treppe hinauf, und Rodger führte Lynley ins Wohnzimmer. Er hob seine kleine Tochter hoch, setzte sie auf seine Hüfte und blickte ohne ein Wort auf das Gemälde unter

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