05 - Denn bitter ist der Tod
erloschen. Dann erst, da es nun keinen Grund mehr gab zu bleiben, ging sie nach oben.
Anthony lag im halbdunklen Schlafzimmer auf dem Bett. Er hatte Schuhe und Jackett ausgezogen, und Justine bückte sich automatisch, um die Schuhe in den Schrank zu stellen und danach das Jackett aufzuhängen. Als das getan war, wandte sie sich ihrem Mann zu. Das Licht, das aus dem Flur hereinfiel, zeigte die Tränenspuren, die sich von den Augenwinkeln über seine Schläfen zogen und unter seinem Haar verschwanden. Seine Augen waren geschlossen.
Sie wünschte, sie hätte Mitleid oder Schmerz oder Teilnahme spüren können. Alles, nur nicht wieder diese beklemmende Angst, die sie gepackt hatte, als er am Nachmittag einfach weggefahren war und sie mit Glyn alleingelassen hatte.
Sie ging zum Bett und knipste die kleine Lampe auf dem Nachttisch neben Anthonys Kopf an. Er hob den rechten Arm, um seine Augen abzuschirmen. Mit der linken Hand suchte er sie.
»Ich brauche dich«, flüsterte er. »Bleib bei mir.«
Noch vor einem Jahr hätte sich ihr Herz geöffnet. Jetzt fühlte sie nichts. Und auch ihr Körper reagierte nicht auf die Verheißung hinter seinen Worten. Ihr waren nur negative Gefühle geblieben. Seit einer Ewigkeit, so schien ihr, tobten Zorn und Mißtrauen und ein Rachedurst in ihr, den bisher nichts hatte stillen können.
Anthony drehte sich auf die Seite. Er zog sie zum Bett hinunter und legte den Kopf in ihren Schoß, seine Arme um ihre Taille. Mechanisch strich sie ihm über das Haar.
»Es ist nur ein Traum«, sagte er. »Sie kommt dieses Wochenende her, und dann sind wir drei wieder zusammen. Wir fahren nach Blakeney hinaus. Oder üben uns im Schießen für die Fasanenjagd. Oder trinken einfach Tee und reden miteinander. Wie eine Familie. Zusammen.«
Justine sah, wie die Tränen über seine Wangen rannen und auf ihren grauen Rock tropften. »Ich will sie wieder haben«, flüsterte er. »Elena. Elena.«
Sie sagte das einzige, was sie in diesem Moment mit Überzeugung sagen konnte. »Es tut mir leid.«
»Halt mich fest. Bitte.« Er schob seine Hände unter ihre Jacke und flüsterte ihren Namen. Er hielt sie mit beiden Armen umschlossen und zog ihre Bluse aus dem Rock. Seine Hände lagen warm auf ihrem Rücken. Sie glitten hinauf zum Verschluß ihres Büstenhalters. »Halt mich fest«, sagte er wieder. Er schob die Jacke von ihren Schultern und hob sein Gesicht zu ihren Brüsten. Durch die feine Seide fühlte sie seinen Atem, seine Zunge, seine Zähne an ihrer Brust. »Halt mich fest«, flüsterte er wieder. »Bitte halt mich ganz fest.«
Sie wußte, daß der Liebesakt eine gesunde, lebensbejahende Reaktion auf einen schmerzlichen Verlust war. Sie hätte nur gern gewußt, ob ihr Mann heute schon einmal auf diese gesunde, lebensbejahende Weise seinen schmerzlichen Verlust abreagiert hatte.
Als hätte er ihren Widerstand gespürt, rückte er von ihr ab, nahm seine Brille vom Nachttisch und setzte sich auf. »Entschuldige«, sagte er. »Ich weiß nicht einmal mehr, was ich tue.«
Sie stand auf. »Wo warst du?«
»Ich hatte den Eindruck, du wolltest nicht...« »Ich spreche nicht von jetzt. Ich spreche von heute nachmittag. Wo warst du?«
»Ich bin herumgefahren.«
»Wo?«
»Nirgendwo.«
»Das glaube ich dir nicht.«
Er wandte sich von ihr ab, ohne etwas zu sagen.
»Jetzt geht das wieder los. Du warst bei ihr. Du hast mit ihr geschlafen. Oder habt ihr eure - wie sagtest du gleich? - eure Seelenfreundschaft erneuert?«
Er sah sie an. Schüttelte langsam den Kopf. »Du verstehst es wirklich, dir den richtigen Moment auszusuchen, wie?«
»Das ist nur ein Ausweichmanöver, Anthony. Und Schuldzuweisung. Aber das klappt nicht. Nicht einmal heute abend. Also, wo warst du?«
»Was muß ich denn noch tun, um dich davon zu überzeugen, daß es aus ist? Du wolltest es doch so. Du hast deine Bedingungen gestellt. Ich habe sie erfüllt. Alle, ohne Ausnahme. Es ist aus.«
»Ach wirklich?« Sie spielte ihren Trumpf gelassen aus. »Wo warst du denn gestern abend? Ich habe dich, gleich nachdem ich mit Elena telefoniert hatte, im College angerufen. Wo warst du, Anthony? Du hast den Inspector belogen, aber deiner Frau wirst du doch wohl die Wahrheit sagen können.«
»Sprich nicht so laut. Sonst weckst du Glyn.«
»Das ist mir gleich. Und wenn ich Tote wecke.«
Sie erschrak wie er. Ihre Worte fielen wie Wasser auf das Feuer ihres Zorns, waren so ernüchternd wie die Erwiderung ihres Mannes.
»Ach, könntest du das
Weitere Kostenlose Bücher