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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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doch, Justine.«

5
    Barbara Havers fuhr ihren rostigen Mini langsam die Oldfield Lane in Greenford hinunter. Neben ihr kauerte klein und ängstlich ihre Mutter in einem viel zu weit gewordenen schwarzen Mantel. Vor der Abfahrt aus Acton hatte Barbara ihr noch einen hübschen rot-blauen Schal um den Hals gebunden, aber während der Fahrt hatte Doris Havers den lockeren Knoten aufgezogen, und jetzt drehte sie den Schal immer fester um ihre Hände. Selbst im trüben Schein der Armaturenbeleuchtung konnte Barbara erkennen, daß die Augen ihrer Mutter hinter den Brillengläsern weit aufgerissen waren vor Angst. Sie war seit Jahren nicht mehr so weit weg von zu Hause gewesen.
    »Schau, Mama, da ist das chinesische Restaurant«, sagte Barbara. »Da können wir uns dann ab und zu etwas holen. Und da ist der Friseur. Schade, daß es nicht hell ist. Dann könnten wir jetzt in den Park gehen und uns dort ein bißchen auf die Bank setzen. Aber das holen wir bald nach. Vielleicht schon nächstes Wochenende.«
    Statt einer Antwort begann ihre Mutter tonlos vor sich hin zu summen, ein Lied, das ihr Unbewußtes ihr eingegeben haben mußte. Barbara kannte die ersten Textworte. Think of me, think of me fondly... Sie hatte es in den letzten Jahren häufig genug im Radio gehört, und ihre Mutter, die es sicher ebensooft gehört hatte, schien sich in diesem Moment der Ungewißheit darauf besonnen zu haben, um ihren tiefsten Gefühlen Ausdruck zu geben.
    Ich denke ja an dich, hätte Barbara am liebsten gesagt. Glaub mir, es ist das beste für dich. Es ist die einzige Möglichkeit, die wir noch haben.
    Statt dessen sagte sie mit schrecklich gekünstelter Munterkeit: »Schau doch mal, wie breit der Bürgersteig hier ist, Mama. Solche Bürgersteige sieht man in Acton nicht, nicht wahr?«
    Sie erwartete keine Antwort, und sie erhielt auch keine. Sie lenkte den Wagen in den Uneeda Drive.
    »Siehst du die Bäume da an der Straße, Mama? Sie sind jetzt kahl, aber stell dir mal vor, wie schön sie im Sommer aussehen.« Natürlich würden sie kein grünes Dach bilden, wie man das in den feineren Straßen Londons sah. Dazu war der Abstand zwischen ihnen zu groß. Aber sie würden wenigstens die graue Monotonie der Reihenhäuser mit den Klinkerfassaden durchbrechen, und dafür war Barbara so dankbar wie für die Vorgärten, auf die sie ihre Mutter im Vorbeifahren aufmerksam machte. Sie gab vor, Details zu sehen, die sie in der Dunkelheit gar nicht sehen konnte, und erzählte heiter von einer Familie Gartenzwerge, einem kleinen Teich mit Keramikenten, einem Beet mit späten Stiefmütterchen. Es machte nichts, daß sie nichts dergleichen gesehen hatte. Ihre Mutter würde sich morgen sowieso nicht mehr daran erinnern. Sie würde sich schon in einer Viertelstunde an nichts mehr erinnern.
    Barbara wußte, daß ihr auch das Gespräch über den Umzug nach Hawthorn Lodge längst entfallen war, das sie mit ihr geführt hatte. Sie hatte Mrs. Flo angerufen, die Aufnahme ihrer Mutter in die Wege geleitet und war nach Hause gefahren, um die Sachen zu packen.
    »Für den Anfang braucht Ihre Mutter nicht gleich alle ihre Sachen«, hatte Mrs. Flo freundlich gesagt. »Bringen Sie nur einen Koffer mit ein paar Dingen mit, das andere machen wir ganz allmählich. Nennen Sie es einen kleinen Besuch, wenn Sie glauben, daß es ihr dann leichter fällt.«
    Barbara, die sich jahrelang die irrwitzigen Urlaubsplanungen ihrer Mutter angehört hatte, war sich der Ironie der Situation bewußt, als sie jetzt anfing, zu packen und von einem Besuch in Greenford zu reden. Welch ein Unterschied zu den exotischen Zielen, die so lange das kranke Hirn ihrer Mutter beschäftigt hatten! Immerhin, da Doris Havers seit Jahren mit den Gedanken an Urlaubsreisen umgegangen war, erschreckte der Anblick des Koffers sie weniger, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre.
    Aber ihr war aufgefallen, daß Barbara nichts von ihren eigenen Sachen in den großen Kunststoffkoffer gepackt hatte. Sie war sogar in Barbaras Zimmer gegangen und mit einer Ladung Hosen und Pullover aus Barbaras Kleiderschrank zurückgekehrt.
    »Die darfst du nicht vergessen, Kind«, sagte sie fürsorglich. »Besonders nicht, wenn wir in die Schweiz reisen. Reisen wir in die Schweiz? Da wollte ich doch schon so lange einmal hin. Frische Luft. Barbie, denk nur, die herrliche Luft.«
    Sie hatte ihrer Mutter erklärt, daß die Reise nicht in die Schweiz ging und sie selbst nicht mitkommen konnte. »Aber es ist ja auch nur

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