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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Schwager, der abwesende Harry Rodger. Er radelte mit wehendem Mantel heimwärts. Lynley sah ihm einen Moment nach und fragte sich, ob er die Nacht im Emmanuel College verbracht hatte. Rodgers Gesicht war bleich, bis auf die Nase, die so rot war wie seine Ohren. Er sah ausgesprochen mißmutig und elend aus. Besorgnis um Helen meldete sich bei Lynley. Sie ist überfordert, dachte er. Sie braucht ihr eigenes Zuhause und London. Aber er schob die Gedanken weg und zwang sich, dem Gespräch zwischen Barbara Havers und Lennart Thorsson zuzuhören.
    »Das Werk des Künstlers illustriert seinen Kampf um eine utopische Vision, Sergeant, eine Vision, die über eine feudale Gesellschaft weit hinausgeht und die ganze Menschheit umfaßt, nicht nur eine elitäre Gruppe und Individuen, die zufällig mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt kommen. Und somit ist das Wesentliche seines Werks auf wunderbare Weise subversiv. Aber die meisten kritischen Analytiker möchten das nicht so sehen. Undenkbar, daß ein Autor des sechzehnten Jahrhunderts mehr visionäre Kraft besessen haben könnte als sie - die natürlich überhaupt keine visionäre Kraft besitzen.«
    »Dann war Shakespeare also der Marxist des Theaters.«
    Thorsson schnaubte geringschätzig. »Ach, simplistischer Dünkel«, sagte er scharf. »So was würde ich von allen möglichen Leuten erwarten, aber gerade nicht von...«
    Barbara drehte sich in ihrem Sitz herum. »Ja?«
    Thorsson sprach seinen Gedanken nicht aus. Es war auch nicht nötig.... von jemandem Ihrer Klasse, diese vier Worte hingen zwischen ihnen und raubten seinen liberalen literaturkritischen Anmerkungen praktisch alle Glaubwürdigkeit.
    Sie hüllten sich alle drei in Schweigen, bis Lynley den Wagen vor dem Nordeingang zum St. Stephen's College anhielt.
    »Mein Zimmer ist da drüben«, sagte Thorsson und steuerte auf die Westseite des Hofs zu. Ehe sie durch die Haustür links vom bezinnten Turm traten, warf Barbara Lynley einen Blick zu und wies mit dem Kopf auf den Eingang zu Treppenhaus L, direkt gegenüber dem Ostblock des Hofs.
    Thorsson lief mit lauten Schritten die blanke Holztreppe hinauf, und als sie ihn einholten, hatte er schon die Tür zu einem Zimmer aufgesperrt, dessen Fenster auf den Fluß und die herbstlich gefärbten Parkanlagen hinausgingen. Er warf seinen Beutel auf einen Tisch, an dem sich zwei geradlehnige Stühle gegenüberstanden, hängte seinen Mantel über die Lehne des einen und ging zu einem Alkoven, in dem ein Bett stand.
    »Ich brauche jetzt dringend einen Moment Ruhe«, verkündete er und legte sich rücklings auf der karierten Tagesdecke nieder. »Nehmen Sie Platz, wenn Sie wollen.« Er wies zu einem Sessel und einem dazu passenden Sofa am Fußende des Betts. Was er bezweckte, war klar. Wenn schon ein Verhör, dann auf seinem Terrain und zu seinen Bedingungen.
    Lynley ignorierte die Aufforderung, Platz zu nehmen, und nahm sich einen Moment Zeit, die Bücher in dem altmodischen Bücherschrank zu betrachten. Lyrik, klassische Romanliteratur, Literaturkritik in Englisch, Französisch und Schwedisch, und mehrere Bände Erotica, einer von ihnen bei einem Kapitel mit der Überschrift »Der Orgasmus der Frau« aufgeschlagen. Lynley lächelte leicht ironisch.
    Am Tisch öffnete Barbara Havers ihr Heft, nahm einen Stift aus ihrer Schultertasche und sah Lynley erwartungsvoll an. Auf dem Bett streckte Thorsson die Arme und gähnte.
    Lynley drehte sich herum. »Elena Weaver war viel mit Ihnen zusammen«, sagte er.
    Thorsson blinzelte träge. »Das dürfte kaum Anlaß sein, mich zu verdächtigen, Inspector. Ich war einer ihrer Lehrer.«
    »Aber Sie haben sich außerhalb der Lehrveranstaltungen mit ihr getroffen.«
    »Ach ja?«
    »Sie waren bei ihr. In ihrem Zimmer. Mehr als einmal, soviel ich weiß.« Möglichst demonstrativ ließ Lynley seinen Blick über das Bett gleiten. »Haben Sie sie hier unterrichtet, Thorsson?«
    »Ja. Aber am Tisch. Ich habe festgestellt, daß junge Damen weit besser denken, wenn sie auf ihren vier Buchstaben sitzen.« Thorsson lachte gedämpft. »Ich sehe schon, worauf Sie hinauswollen, Inspector. Ich kann Sie beruhigen. Ich verführe keine Schulmädchen, auch wenn sie dazu einladen.«
    »Hat Elena Weaver Sie dazu eingeladen?«
    »Diese Mädchen kommen hier an und setzen sich einem praktisch auf den Schoß, da müßte man schon schwachsinnig sein, um nicht zu wissen, was sie wollen. Das passiert andauernd. Aber ich werde mich hüten, auf diese Aufforderung

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