05 - Der Kardinal im Kreml
eine Feststellung, keine Frage.
«Ein Fehler von mir», erwiderte Watutin schlicht.
«Und die Kamera?»
«War magnetisch an der Rückseite seines Kühlschranks befestigt.»
«Wie ich sehe, blieb sie bei der ersten Durchsuchung der Wohnung unentdeckt. Sie wies keine Fingerabdrücke auf. Und Ihre Aufnahmen von Filitow zeigen nicht, daß er sie auch benutzt hat. Was, wenn er nun behauptet, Sie hätten ihm Film und Kamera nur untergeschoben? Wie soll ich dann den Minister davon überzeugen, daß er der Lügner ist?»
Watutin war vom Ton der Frage überrascht. «Sie glauben also, daß er ein Spion ist?»
«Was ich glaube, ist nicht von Belang. Die Existenz des Tagebuchs beunruhigt mich zwar, aber Sie können sich nicht vorstellen, mit welchen Verstößen gegen die Sicherheitsvorschriften ich gerade bei Hochgestellten zu tun bekomme. Je wichtiger jemand ist, desto unwichtiger sind ihm die Vorschriften. Sie wissen ja, wer Filitow ist. Berühmt in der ganzen Sowjetunion, Mischa, der Held von Stalingrad. Er kämpfte bei Minsk und Wjasma, vor Moskau, wo wir die Faschisten stoppten, war bei der Katastrophe von Charkow mit dabei, dem Rückzug auf Stalingrad, dann der Gegenoffensive -»
«Ich kenne seine Akte», erwiderte Watutin neutral.
«Er ist für die ganze Armee eine Symbolgestalt. So einen Mann exekutiert man nicht nur aufgrund so zweifelhafter Beweise. Sie haben nur diese Fotos, aber nicht den Beweis, daß er sie auch machte.»
«Wir haben ihn noch nicht verhört.»
«Stellen Sie sich das etwa so einfach vor?» Ignatjew verdrehte die Augen. Sein Lachen war ein rauhes Bellen. «Wissen Sie eigentlich, wie zäh der Mann ist? Er tötete noch Deutsche, als er selbst in Flammen stand! Dieser Mann hat dem Tod Tausende von Malen ins Gesicht gesehen und sich nicht darum geschert!»
«Ich hole schon aus ihm heraus, was ich wissen will», beharrte Watutin leise.
«Aha, die Folter. Sind Sie noch ganz bei Trost? Glauben Sie vielleicht, die Rote Armee hält still, während Sie einen ihrer Helden foltern? Stalin und Berija sind tot, Genosse.»
«Wir können die Informationen aus ihm herausholen, ohne ihm körperlichen Schaden zuzufügen», sagte Watutin. Der Tank war eines der bestgehüteten Geheimnisse des KGB.
«Unsinn!»
«Was ist dann Ihre Empfehlung, General?» Die Antwort kannte Watutin bereits.
«Übergeben Sie mir den Fall. Wir sorgen schon dafür, daß er die Rodina nie wieder verrät», versprach Ignatjew.
«Und ersparen der Armee die Peinlichkeit.»
«Die sollten wir allen Beteiligten ersparen, nicht zuletzt Ihnen, Genosse Oberst. Ihre sogenannte Ermittlung ist eine Katastrophe.»
Hm, was ich erwartet hatte: ein kleines Getobe, ein paar Drohungen, vermischt mit Sympathie und Kameradschaftlichkeit. Watutin sah nun einen Ausweg, aber damit waren weitere Beförderungen ausgeschlossen. Er konnte sich von dem wahren Ziel der Ermittlungen zurückziehen und für den Rest seines Lebens Oberst bleiben, oder er konnte seine ursprünglichen Absichten weiterverfolgen - ohne politische Motive - und riskieren, in Ungnade zu fallen. Die Entscheidung fiel ihm widersinnig leicht.
«Genosse, das ist mein Fall. Der Vorsitzende hat mich mit seiner Bearbeitung beauftragt, und ich werde ihn auch weiterhin so bearbeiten, wie ich es für richtig halte. Ich danke Ihnen für Ihren Rat, Genosse General.»
Ignatjew schätzte den Mann und die Erklärung ab. Auf Integrität stieß er nur selten, und es betrübte ihn ein wenig, daß er dem Mann nicht zu seiner Haltung gratulieren konnte. Aber Loyalität der sowjetischen Armee gegenüber ging vor.
«Wie Sie wünschen. Ich erwarte aber, daß Sie mich über Ihre Aktivitäten informiert halten.» Ignatjew ging ohne ein weiteres Wort.
Watutin blieb ein paar Minuten an seinem Schreibtisch sitzen und machte sich Gedanken über seine Lage. Dann rief er nach seinem Wagen. Zwanzig Minuten später war er im Lefortowo-Gefängnis.
«Ausgeschlossen», sagte der Arzt, ehe er seine Frage gestellt hatte.
«Wie bitte?»
«Sie wollen diesen Mann in den Tank stecken, der sensorischen Deprivation aussetzen, nicht wahr?»
«Natürlich.»
«Das würde ihn wahrscheinlich umbringen. Sie wollen das bestimmt vermeiden. Und ich möchte mein Projekt damit nicht gefährden.»
«Das ist mein Fall, für den ich verantwortlich bin.»
«Genosse Oberst, der Mann ist über siebzig. Er zeigt alle Symptome einer kardiovaskulären Erkrankung - ganz normal in seinem Alter - und hat chronische Atembeschwerden. Bei Beginn der ersten Angstphase
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