05 - Der Kardinal im Kreml
entscheidend sind nur die Eishockeyspiele.
Deswegen wollte ich ihm das Bild bringen. Die Jungen in der Mannschaft
glauben, daß er ihnen Glück gebracht hat - fragen Sie sie doch selbst, sie
haben schließlich alle unterschrieben, oder? Er war zweimal da, und
beide Male gewannen wir wichtige Spiele, und mein Sohn schoß zwei
Tore. Soll er denn ein Spion sein, nur weil er zu einem Spiel der Juniorenliga ging? Das ist doch verrückt.»
Das Ganze bereitete ihr im Grunde Vergnügen. Man ging sehr vorsichtig mit ihr um. Nichts wirkt so wie eine gefährdete Schwangerschaft,
sagte sich Mary Pat und verstieß gegen eine uralte Geheimdienstregel:
nichts sagen.
Sie schnatterte drauflos wie jede empörte Bürgerin - unter dem Schutz diplomatischer Immunität natürlich - und schimpfte auf die unglaubliche Dummheit der Russen.
«Da gingen mir schon die Sicherheitsleute von der Botschaft auf die Nerven», zeterte sie weiter. «Tun Sie dies nicht, tun Sie das nicht, seien Sie vorsichtig beim Fotografieren. Ich habe keine Bilder gemacht, ich wollte ihm ein Bild geben\» Sie wandte sich ab und schaute in den Spiegel.
«Wer diese Frau ausgebildet hat, verstand sich auf sein Geschäft», bemerkte Watutin, der vom Nebenzimmer aus durch den Spiegel zuschaute. «Sie weiß, daß wir hier sind, läßt sich aber nichts anmerken. Wann lassen wir sie laufen?»
«Heute nachmittag», erwiderte der Chef des Zweiten Hauptdirektorats. «Sie festzuhalten, ist nicht der Mühe wert. Ihr Mann packt schon. Sie hätten ein paar Sekunden abwarten sollen», fügte der General hinzu.
«Ich weiß.» Es war sinnlos, das schlampig eingebaute Türschloß zu erwähnen. Ausreden galten beim KGB nicht, auch nicht die eines Obersten. Aber darauf kam es auch gar nicht an - sie hatten Filitow ertappt zwar nicht ganz auf frischer Tat, aber doch erwischt. Und darauf kam es bei diesem Fall an. Beide Männer kannten die anderen Aspekte, taten aber so, als existierten sie nicht. Das war für beide der klügste Kurs. «Wo ist mein Mann!» herrschte Jasow.
«Im Lefortowo-Gefängnis natürlich», antwortete Gerasimow.
«Ich will ihn sofort sprechen.» Der Verteidigungsminister hatte noch nicht einmal die Mütze abgesetzt und stand in seinem langen Armeemantel vor ihm - mit von der kalten Februarluft noch geröteten Wangen. Zorn? fragte sich Gerasimow. Oder vielleicht Angst?
«Sie haben hier keine Forderungen zu stellen, Dimitri Timofejewitsch. Auch ich bin Mitglied des Politbüros und des Verteidigungsrates. Und es ist möglich, daß auch Sie in diesen Fall verwickelt sind.» Gerasimow spielte mit einem Hefter auf dem Schreibtisch.
Nun änderte sich Jasows Hautfarbe. Er wurde blaß, aber eindeutig nicht vor Angst. Es überraschte Gerasimow, daß der Soldat nicht die Beherrschung verlor, aber der Marschall nahm sich mit größter Mühe zusammen und fuhr ihn an wie einen Rekruten: «Zeigen Sie mir auf der Stelle die Beweise, wenn Sie den Mut haben!»
«Wie Sie wollen.» Der Vorsitzende des KGB schlug die Akte auf, entnahm ihr die Bilderserie und reichte sie Jasow.
«Sie haben mich überwacht?»
«Nein, nur Filitow. Sie waren nur per Zufall dabei.»
Jasow warf die Fotos verächtlich zurück. «Na und? Mischa war zu diesem Eishockeyspiel eingeladen. Ich begleitete ihn. Ein spannendes Spiel. In der Mannschaft war ein kleiner Amerikaner, dessen Mutter ich einmal auf einem Empfang begegnet war. Sie war auch bei dem Spiel, und wir gingen hinüber und begrüßten sie. Amüsante Frau, auch wenn sie nicht viel im Kopf hat. Am nächsten Morgen gab ich einen Kontaktbericht ab. Und Mischa auch.» Jasow klang nun selbstbewußter. Offenbar hatte Gerasimow sich verkalkuliert.
«Sie ist eine Agentin der CIA.»
«Dann bin ich davon überzeugt, daß der Sozialismus siegen wird, Nikolaj Borissowitsch.»
Verteidigungsminister Jasow beruhigte sich etwas. Er wußte genau, worum es hier in Wirklichkeit ging; er konnte, wollte nicht glauben, daß Filitow ein Verräter war.
«Falls Sie echte Beweise gegen meinen Mann haben, möchte ich die von meinen eigenen Leuten prüfen lassen. Sie, Nikolaj Borissowitsch, treiben ein politisches Spiel mit meinem Ministerium. Ich lasse nicht zu, daß das KGB in meiner Armee herumwirtschaftet. Noch heute nachmittag schicke ich einen Mann vom GRU hierher. Entweder Sie unterstützen ihn, oder ich bringe die Angelegenheit im Politbüro zur Sprache.»
Gerasimow zeigte nicht die geringste Reaktion, als der Verteidigungsminister den Raum verließ, erkannte aber, daß
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