05
Raum schickten.
„Also", sagte ich, bevor Eric auf die Idee kommen konnte, sie tatsächlich fortzuschicken, „was führt dich hierher in die Summit Avenue?"
„Das hier", sagte sie und griff in ihre Tasche. Meine lädierten Nerven spielten mir einen Streich, als ich sie vor meinem geistigen Auge bereits eine Pistole, ein Messer, ja, sogar einen Backstein hervorziehen sah. Stattdessen war es ..
Tina runzelte die Stirn, und zwischen ihren Augen bildete sich eine steile Falte. So sah sie definitiv alt aus - nicht wie achtzehn, sondern wie fünfundzwanzig. „Das ist eine Buchvorschau."
„Korrekt."
„Dem Himmel sei Dank", rief ich aus, noch ungeduldiger als gewöhnlich,
„dass du keine Zeit verloren hast und sie auf der 53
Stelle hierher gebracht hast! Wir haben schon das ganze Haus vom Dach bis zum Keller danach abgesucht. Nie hat uns etwas mehr gefehlt als eine Buchvorschau."
„Um genau zu sein", sagte Marjorie und ließ den Katalog mit einem Knall auf den Tisch fallen, „ist es die Herbstvorschau diesen Jahres von Berkley."
Sinclair schloss die Augen.
„Na, wenn das nicht der Heilige Gral der Buchvorschauen ist", witzelte ich.
Nur mit Mühe konnte ich mich zurückhalten, diese Frau zu bitten zu gehen, bevor mein Kopf explodierte.
Sinclair sagte nichts, aber seine grimmige Miene und das leichte Kopfschütteln ließen ahnen, dass er wusste, worauf das Ganze hinauslief.
Ich dagegen hatte keinen blassen Schimmer. Marjorie wartete darauf, dass bei mir der Groschen fiel. Schließlich sagte sie: „Seite siebenundvierzig."
Niemand reagierte. Anscheinend meinte sie mich. Ich nahm den Katalog und blätterte zu der genannten Seite. Fast hätte ich ihn fallen lassen, als hätte er sich plötzlich in eine Klapperschlange verwandelt. „Okay, jetzt verstehe ich dich, das ist ..."
„Katastrophal?", fragte sie scharf.
„Übel. Ein bisschen übel."
Weiblich, ledig, untot von Anonymus stand in fetten Lettern quer über die Doppelseite geschrieben. Ein witziger und völlig neuer Blick auf die Welt der Vampire! war am unteren Rand zu lesen, zusammen mit anderen Kommentaren (Plötzliche Überleitungen nehmen den Leser mit auf eine ausgelassene Fahrt und Wenig Handlung, viel Spaß!).
Es gab auch eine kurze Beschreibung: Clever spielt die Autorin mit dem Konzept der ,wahren Autobiografie', indem sie vorgibt, die Königin der mythischen Untoten zu sein. Einer der hellsten Lichtblicke dieses Bücherherbstes!
54
„Jemand hat ein Buch über dich geschrieben?" Jessica starrte auf die Seiten des Katalogs. „Wow!"
„Nein, nicht Wow. Das Gegenteil von Wow." Mein Gehirn lief auf Hochtouren. Was war das Gegenteil von Wow? Man konnte wohl kaum darauf hoffen, es einfach rückwärts buchstabieren zu können. Vielleicht konnte man mit den Buchstaben spielen -owo? Wie in „Oh, wo soll das nur enden?".
„Majestäten, ich möchte Euer Urteilsvermögen nicht infrage stellen . ."
„Aber du wirst es gleich tun."
So beunruhigt hatte ich Marjorie noch nie gesehen. „Wie konntet Ihr das zulassen?"
„Ich habe . ." Einem Freund einen Gefallen getan, wollte ich sagen, aber Sinclair fuhr mir eilig in die Parade.
„Kann die Veröffentlichung gestoppt werden?"
„Es handelt sich nicht um eines unserer Bücher", gab Marjorie zu bedenken.
Sie klang sauer. „Ihr könntet ebenso gut fragen, ob der neue Stephen King vom Markt genommen werden kann. Das liegt nicht in unserer Macht."
„Kann denn der neue Stephen King vom Markt genommen werden?", witzelte Marc. Er war ein Stephen-King-Snob der alten Schule. Einmal hatte er verkündet, seit Friedhof der Kuscheltiere habe dieser nichts Gutes mehr geschrieben. Ich kaufte dennoch weiter seine Bücher. Ein Leben ohne King war wie ein Leben ohne die alte, schmierige Lieblingskneipe: unmöglich. Man hält einfach daran fest, aus reiner Zuneigung und im stillen Gedenken an vergangene Tage.
Wieder betrachtete ich die vor mir liegenden Vorschauseiten, das dunkelrote Cover, die goldene Titelschrift. Die erste wahre Geschichte einer Untoten, ein Bericht von der vordersten Front. Na klar!
Ich wusste, wer der Autor war: Jon Deik, früher ein Vampire 55
jagendes Mitglied der Blade Warriors und jetzt heißer neuer Autor. Aber dank einer schnellen Gehirnwäsche wusste er von Ersterem nichts mehr. Und natürlich handelte es sich bei der eigentlichen Quelle des Autors um meine Wenigkeit.
Vor einigen Monaten hatte Jon versucht, mir die Hochzeit mit Sinclair auszureden. Kurz zuvor war er
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