050 - Das Kind der Hexe
unterhielten, war sie ständig angespannt. Sie musste auf der Hut sein, dass ihr Gespräch nicht mittels schwarzer Magie belauscht wurde. Und dieses ständige Absichern und Sondieren aller möglichen Ausstrahlungen – das kostete Kraft. Coco ließ sich müde gegen die Rückenlehne sinken. Sie lauschte auf die Gedanken ihres Kindes. Doch sie schwiegen. Das Kind in ihrem Leib schien zu schlafen. Coco hörte nur seine regelmäßigen Herztöne, spürte das nervöse Zucken seiner Gliedmaßen. Wenn dem Kind etwas zustoßen würde, wollte sie nicht mehr weiterleben. Das schien Olivaro zu wissen, und darauf schien er seinen teuflischen Plan auszurichten.
Das Kind musste gesund zur Welt kommen! Und Coco wollte alles tun, um seine Zukunft zu sichern. Das konnte sie aber nur, wenn sie den Geburtstermin vorverlegte. Das kleine hilflose Wesen durfte den Schutz ihres Körpers nicht bis zum ersten Vollmond im November – dem vorbestimmten Geburtsdatum – genießen, sondern musste früher geboren werden. Coco hatte es bereits beschlossen. Nun musste sie das Kind nur noch darauf vorbereiten. Sie schreckte aus ihrem Halbschlaf hoch, als sie die einförmigen Reihenhäuser rechts und links der Straße erblickte.
»Was suchst du in der Abraham Road?«
Er fuhr den Mini an den Bordstein und parkte ein. »Wir haben verabredet, dass wir gemeinsam zu Lilian gehen und uns mit ihr aussprechen. Hast du das vergessen? Oder fühlst du dich jetzt nicht dazu in der Lage?«
Coco nickte müde. »Doch, doch. Es liegt mir sehr viel daran, mit deiner Frau zu sprechen. Ich bin sicher, dass wir uns besser verstehen werden als du und Marvin. Ich muss mit ihr reden. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich dadurch großes Unheil verhindern kann …«
Sie stiegen aus und gingen nebeneinander zum Reihenhaus, in dem Dorian so viele Jahre mit seiner Frau Lilian gelebt hatte. Aber seit damals schienen Jahrhunderte vergangen zu sein. Und in gewisser Weise war das auch der Fall. Dorian hatte inzwischen seine Erinnerung zurückerhalten. Die Erinnerung daran, dass er in früheren Jahrhunderten schon viele Leben gelebt hatte – und dass er in jedem Leben einen aussichtslosen Kampf gegen die Dämonen dieser Welt geführt hatte. Nun setzte er diesen Kampf als Dorian Hunter fort.
Das war der Grund, warum er mit Lilian nicht mehr glücklich sein konnte.
Aber es war besser so. Er zog dieses Leben in ständiger Furcht und Anspannung der heilen Welt und dem scheinheiligen Glück an Lilians Seite vor. Sie war der Belastung, die das Leben an der Seite eines Dämonenkillers mit sich brachte, einfach nicht gewachsen. Coco dagegen kannte als Hexe nur zu gut die Macht des Bösen …
Dorian klingelte. Nichts rührte sich. Schließlich holte er den Schlüssel hervor. Es war ihm peinlich, unangemeldet in sein eigenes Haus einzudringen. Wenn Cohen hier war … Dorian stieß die Tür auf und ließ Coco den Vortritt.
»Es ist niemand da«, stellte sie fest. Und Dorian wusste, dass sie sich nicht täuschte. Er ging an ihr vorbei, durchquerte die Diele und ging geradewegs ins Wohnzimmer. Dort lag ein Kuvert. Darauf stand in Lilians braver, konservativer Handschrift: Für Dorian. Er riss den Briefumschlag hastig auf und entfaltete den mit wenigen Zeilen beschriebenen Papierbogen. Ohne hinzusehen sagte Coco:
»Wir sind zu spät gekommen. Stimmt's?«
Dorian nickte, als er fertig gelesen hatte. »Ich weiß zwar nicht, wofür es zu spät ist … Aber Lilian ist mit Marvin durchgebrannt.« Er zerknüllte den Brief und schlug die Faust auf den Tisch. »Es war alles ein Missverständnis. Lilian hätte das gar nicht nötig gehabt. Ich hätte sie freiwillig gehen lassen. Aber ich weiß, ich hätte ihr das deutlich machen müssen. Jetzt erst sehe ich, wie verzweifelt sie gewesen sein muss. Brennt einfach durch!«
»Es war alles vorherbestimmt«, murmelte Coco. »Du hättest es auch nicht ändern können, wenn du dich mit Lilian gestern oder vor einem Monat ausgesprochen hättest. Die Weichen für diese Geschehnisse wurden schon vor Jahren von den Dämonen gestellt, als du Lilian zur Frau nahmst.«
»Belaste dich nicht auch noch damit«, bat Dorian. Dann brachte er Coco aus dem Haus.
Während sie zum Wagen gingen, fragte sich der Dämonenkiller besorgt, wohin Marvin und Lilian geflüchtet waren und was aus ihnen geworden war.
»Marvin, Marvin! Da biegt ein Rover von der Straße ab. Er hält vor dem Motel.«
Lilian hatte die ganze Zeit über durch einen Spalt des Vorhangs
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