050 - Das Kind der Hexe
raschelte etwas. Eine Ratte … Sie huschte quietschend davon. Cohen ging weiter. Plötzlich stieß sein Fuß gegen etwas Weiches. Als sich die Gestalt zu seinen Füßen bewegte, holte er sofort die Pistole unter seiner Achsel hervor.
»Hau ab, Idiot!«, schimpfte der Penner und drehte sich grunzend auf die andere Seite.
Mit der Pistole in der Hand schlich Cohen weiter. Er hätte statt der Waffe lieber eine Taschenlampe gehabt. Dorian konnte er mit bloßen Händen erledigen, aber ohne Licht konnte sich hier ein Uneingeweihter nur schlecht zurechtfinden. Wieder kreuzten Ratten seinen Weg. Cohen trat nach ihnen, doch er trat ins Leere. Er erreichte das Ende des Ganges. Vielleicht konnte er Dorian in dieser Sackgasse festnageln? Er kehrte wieder um, bis zum nächsten Quergang.
»Mr. Cohen?«, raunte eine Stimme. Cohen entsicherte sofort die Pistole.
»Nicht schießen«, bat der unsichtbare Sprecher. »Mr. Hunter hat mich geschickt.«
»Wieso ist er nicht selbst gekommen?«, fragte Cohen und richtete die Pistole in den dunklen Gang.
»Er wollte sichergehen«, sagte die Stimme aus der Dunkelheit. Ein widerliches Kichern folgte. »Er traut Ihnen nicht, Mr. Cohen. Verständlich, äh?«
Cohen war sicher, dass vor ihm ein Freak war. Kein normaler Mensch hatte eine solche Stimme, die sich wie das Quaken eines Frosches anhörte.
»Zeige dich mir oder ich ballere dir eine auf den Pelz«, sagte Cohen drohend.
Er hörte noch ein verhaltenes Kichern. Dann war es still. Cohen fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut. Wer konnte sagen, wie viele Freaks hier lauerten? Er war ein Esel gewesen, weil er an Dorians Versprechen, allein zu kommen, geglaubt hatte. Mit schussbereiter Pistole drang er vorsichtig in den Quergang ein. Er zählte die Schritte und schätzte die zurückgelegte Entfernung auf etwa sieben Meter. Der Gang endete in einem Vorhang, hinter dem ein größeres Gewölbe lag. Durch ein Fenster fiel Dämmerlicht herein, und Cohen blickte durch sie hindurch in einen grauen Hinterhof. Hier fühlte er sich schon wohler, denn er war nicht mehr so hilflos. Er blickte sich suchend um. Das Gewölbe hatte keinen anderen Ausgang. Also musste der Freak noch hier sein. Allerdings wäre es einem Zwerg möglich gewesen, durch die Gitter der Kellerfenster zu schlüpfen. Aber warum hätte er ihn herlocken sollen, wenn er dann verschwand? Cohen entdeckte insgesamt drei Bündel aus Lumpen, unter denen sich menschliche Gestalten abzeichneten.
Bei einem der Penner musste es sich um den Freak handeln, den Dorian geschickt hatte. Cohen ging zu dem Ersten hin und riss die Lumpen zur Seite. Er blickte in ein aufgedunsenes Gesicht und eine Alkoholfahne schlug ihm entgegen. Das war bestimmt nicht sein Mann. Cohen durchquerte den Raum und näherte sich der zweiten Gestalt. Er griff nach einer zerlumpten Decke und riss sie fort. Aber darunter sah er nur weitere Lumpen. Er wollte sich schon abwenden, als er unter den Fetzen einen kleinen Schuh herausragen sah. Grinsend trat er mit dem Fuß den Lumpenhaufen zur Seite.
Darunter kam der greisenhafte Schädel eines Zwerges zum Vorschein.
Cohen bückte sich hinunter, die Pistole lässig in der Hand wiegend, und sagte: »Ja, wen haben wir denn da?«
Der Zwerg war so verschreckt, dass sein Kinn mahlende Bewegungen machte. Aus seinen Glotzaugen sprach nackte Todesangst. Plötzlich veränderte sich jedoch der Ausdruck seiner Augen. Cohen sah noch die Hand, die blitzschnell unter den Lumpen hervorschoss. Ihm entging auch nicht das metallene Schimmern des Stiletts. Aber bevor er eine Abwehrbewegung machen konnte, traf das eiskalte Metall seine Hand, die die Pistole hielt. Und dann war der Zwerg wieselflink auf den Beinen und verschwand hinter Cohens Rücken. Cohen wollte herumwirbeln. Da fuhr ihm etwas elektrisierend zwischen die Rippen. Und noch einmal.
Cohen sprang auf. Das kostete ihn keine Mühe. Aber als er stand, vibrierte plötzlich sein ganzer Körper. Er sah den Zwerg wieder auftauchen und wollte nach ihm treten und schlagen. Aber seine Arme und Beine gehorchten ihm nicht mehr. Und der Zwerg sprang auf ihn zu, wich zurück, tänzelte von einer Seite zur anderen. Und jedes Mal, wenn er sich Cohen näherte, spürte dieser, dass etwas in seinen Körper eindrang. Seltsamerweise bereitete das keine Schmerzen. Aber die Einstiche hatten eine andere, viel fatalere Nebenwirkung. Als werde jedes Mal ein Ventil geöffnet, aus dem seine Lebensenergie entströmte, fühlte er sich immer schwächer
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