050 - Monsterburg Höllenstein
magischen Blutes fungierte, wurde
zusehends schwächer und hatte keinen Lebenswillen mehr…«
Jessica Paine merkte,
wie ihr die Knie weich wurden. Sie schloß die Augen, preßte die Hände gegen die
Ohren und wollte all das Schreckliche nicht mehr hören. Was sie bisher
vernommen hatte, war so grauenhaft, daß ihr Hirn sich weigerte, es als Wahrheit
anzunehmen. Aber dies stimmte. Sie spürte es mit jeder Faser ihres Herzens.
Crazy Joe! Man hatte ihm den Namen zu Recht verliehen. Er kannte kein Pardon,
war ein Menschenverächter und Mörder. Sie hörte die Stimme des Grausamen auch
durch ihre an die Ohren gepreßten Hände. Er erklärte ihr, daß sie durch ihn
quasi noch mal die Gelegenheit fände, die Verstorbenen zu sehen.
»… denn einbalsamiert
und konserviert sind sie auch. Sie werden einen Ehrenplatz in meinem Panoptikum
erhalten… Auch du, Jessica, wirst dort mal deine letzte Ruhestätte finden. Du
bist die letzte Paine der direkten Linie… das heißt, daß auch in deinen Adern das
magische Blut fließt. Ich brauche es, du wirst mir helfen, um den letzten,
entscheidenden Schritt einzuleiten. Ich will, daß die Geschöpfe, die meine Burg
besiedeln, nicht nur stundenweise, sondern ständig leben. Du wirst dein Blut
zur Verfügung stellen und…« Da warf sie sich nach vorn. Sie reagierte abrupt,
stieß den Sprecher mit einer wilden Handbewegung zur Seite und rannte die
wenigen Schritte zur Tür, durch die sie in dieses Verlies gekommen war. Sie riß
die Tür auf, und prallte wie von einer unsichtbaren Mauer zurück.
Vor ihr stand ein
schrecklich anzusehender Mensch. Er war in Fetzen gekleidet. Die Haut war braun
und knitterig, die Augen lagen tief in den Höhlen, und das schwarze, dünne Haar
hing strähnig in die Stirn. Jessica Paine schrie auf.
Die klobigen großen
Hände des Unheimlichen stießen blitzschnell vor und hielten sie fest, noch ehe
sie einen weiteren Schritt nach vorn machen konnte. Sie zappelte zwischen den
Händen wie ein Fisch am Angelhaken. Muffiger Geruch haftete der Gestalt an, als
wäre sie gerade dem kühlen Grab entstiegen. William Joe Paine lachte im
Hintergrund. »Du könntest alles viel einfacher haben, Jessica. Warum soviel
Schwierigkeiten? Es geht alles seinen Gang, du kannst daran nichts mehr ändern.
Du siehst, wie sehr ich mich auf meine Freunde, meine Geschöpfe verlassen kann.
Ja, es sind meine Geschöpfe, denn ohne das magische Blut der Paines wären sie nichts!
Du bist eine Paine… Ich
fühle mich einerseits mit dir verbunden, andererseits stehst du unter mir und
wirst mir deshalb dienen. Sonja und ich haben es entdeckt. Und deshalb geht
unsere gemeinsame Tochter, Ellen, vor…«
Mit herrischer Geste gab
er dem wie aus dem Grabe gestiegenen Geschöpf zu verstehen, Jessica
fortzubringen. Die Amerikanerin wurde gepackt und der Zombie-Typ schleppte sie
quer durch das Verlies, in dem die Särge und die Kerze standen. Hinter dem
Mauervorsprung führte eine schmale Treppe noch weiter nach unten. William Joe
Paine ging hinter dem Sklaven, der von seinem magischen Blut abhängig war, her
und sprach unablässig weiter auf Jessica Paine ein, deren Kopf über der
Schulter des Unheimlichen hing. Der trug sie davon wie einen Mehlsack.
»Meine Zeit geht zu
Ende«, eröffnete er ihr. »Ich habe meine Kräfte zu sehr vergeudet, und nun
besteht die Gefahr, daß mein Lebenswerk mit mir vergeht. Das will ich auf alle
Fälle verhindern. Durch dich. Meine Geschöpfe werden leben, weil sie
dein Blut erhalten werden. Sie können ohne das magische Blut nicht mehr
existieren. Wird es ihnen nicht zugeführt, müssen sie über kurz oder lang
sterben. Darüber hinaus will ich mein geheimes Erbe weitergeben an jenen
Menschen, der mich als einziger wirklich verstehen wird, weil er so denkt und
fühlt wie ich. Ellen… Ich habe sie seit ihrer Geburt nicht mehr gesehen.
Unmittelbar nach der Entbindung wurde sie Sonja weggenommen. Wie ein Fisch oft
die junge Brut schluckt oder eine Glucke mit ihrem Schnabel die eben
geschlüpften Küken tot hackt, mußte man damit rechnen, daß Sonja nach der
Geburt ihr Junges getötet hätte. Mit Ellen verschwand auch ich aus ihrem
Leben. Ich brachte das Kind zu einer Kinderschwester, die es unter dem Namen
Ellen Maroth aufziehen sollte. Eines Tages wollte ich wieder auf sie zukommen.
Das ist nun geschehen. Auch Ellen ist unterrichtet, und ich werde ihr die Augen
öffnen, damit sie mein Erbe antreten kann. Das ganze Erbe meines Lebens. Auch
mein geistiges.«
Der
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