0502 - Das Schwert des Vampirs
er einen Menschen verspotten, der diesen Spott niemals verdiente?
»Erzähl’s mir«, bat er. »So genau wie möglich. Ach - willst du mit mir in die Vorratskammer kommen? Da gibt’s nicht nur Honig und Schokolade, sondern auch noch jede Menge anderer Süßigkeiten.«
Der Gnom schluckte; seine Augen weiteten sich. »Aber Sir Bryont mag es nicht, wenn ich… und ich bin doch nur hier, weil…«
Zamorra lächelte.
»Das ist vorbei«, sagte er. »Der Llewellyn und die Lady haben das Castle verlassen. Wir beide, du und ich, sind jetzt die letzten lebenden Menschen hier. Meinst du nicht, daß man das nutzen sollte? Du weißt, daß Sir Bryont mich in seinen Clan adoptierte und ich deshalb in seiner Abwesenheit hier verfügen kann, wie es mir beliebt?«
»Ihr sagt es mir, Herr; ich glaube es, weil ich weiß, daß Ihr nicht lügt, Herr.«
»Na schön«, sagte Zamorra. »Plündern wir die Süßigkeiten-Vorräte; Cristofero muß ja nicht unbedingt davon erfahren. Aber - eine Bedingung stelle ich.«
Der Gnom erschauderte. »Ihr befehlt, ich gehorche, Herr.«
»Dann nenne mich nicht mehr Herr. Wir sind gleichgestellt. Rede mit mir wie mit deinesgleichen. - Dabei weiß ich nicht einmal, mit welchem Namen ich dich anreden soll.«
Der Gnom zuckte zusammen. »Ich… ich hatte nie einen Namen. Nennt… nenn mich, wie du willst, Zamorra.«
Es hatte ihn sichtliche Überwindung gekostet. Zamorra lächelte.
»Deinen Namen sollst du dir selbst wählen«, sagte er. »Überlege ihn dir gut, Namen sind wichtig. Aber jetzt gehen wir beide naschen, und dabei erzählst du mir von diesem Schwert, ja?«
Er nahm es dem Gnom ab, damit der das metallene Monstrum nicht mehr schleppen mußte. Der Gnom lächelte.
»Ich danke dir, Zamorra. Ich möchte dein Freund sein dürfen.«
***
Stygia, Fürstin der Finsternis, Herrscherin über die Schwarze Familie der Dämonen, besaß ihre Informationsquellen. Eine davon berichtete ihr, daß im schottischen Hochland die Erbfolge des Llewellyn-Lords vollzogen worden war.
Stygia bedauerte das. Sie hatte versucht, die Erbfolge zu verhindern, wie es 265 Jahre zuvor ihr Vorgänger Asmodis versucht hatte. Aber weder Asmodis noch Stygia hatten es fertiggebracht, den Lord oder die Mutter seines Kindes rechtzeitig zu ermorden.
Jetzt war die Chance verpaßt.
Andere Dämonen hätten vielleicht frohlockt und versucht, den Llewellyn gerade jetzt umzubringen, da er ein erinnerungsloses Kleinkind war. Kehrte seine Erinnerung und damit das Wissen um die Anwendungsmöglichkeiten der Llewellyn-Magie erst einmal zurück, war es zu spät. Doch Stygia war nicht nur Dämonenfürstin, sondern auch Frau. Etwas in ihr war stärker als das Teuflische und hinderte sie daran, den Mordbefehl gegen diesen Säugling zu erteilen.
Das war wider ihre weibliche Natur.
Sie konnte es sogar teuflisch begründen - ein Teil der Hölle lebte vom Seelenfang. Da brachte es nichts, ein Menschenwesen zu töten, das noch unschuldig war. Es war kein Gewinn für die Hölle. Es mußte sich erst der Sünde schuldig machen.
Unmöglich für ein Kleinkind. Erst, wenn wirkliches Schuldbewußtsein entstand, lohnte es sich für die Hölle, dieses Menschenwesen erfolgreich in Versuchung zu führen und schuldig werden zu lassen! Davon war Sir Rhett Saris ap Llewellyn aber noch sehr, sehr weit entfernt.
Also ignorierte Stygia ihn fortan.
Aber da war noch eine Meldung eines Spion-Geistes.
In unmittelbarer Nähe von Llewellyn-Castle bereitete sich der Ssacah-Kult plötzlich explosionsartig aus.
»Was ich nicht erlaubt habe«, fauchte Stygia. »Da muß ich wohl jemandem mal wieder die Flügel stutzen!«
Dieser Jemand lebte in Indien, hieß Mansur Panshurab, und war leidgeprüftes menschliches Oberhaupt des Ssacah-Kultes - sofern man bei ihm überhaupt noch von »menschlich« sprechen konnte.
Aus den sieben Kreisen der Hölle bis nach Indien, zu Mansur Panshurabs Hauptquartier, war es für die Fürstin der Finsternis nur einen Gedanken weit.
Gedacht, getan.
***
Der Durst wurde immer schlimmer. Es half nichts, Wasser zu trinken, oder Wein. Es mußte Blut sein. Don Cristofero bewegte sich durch den von hohem Gras und wucherndem Unkraut bewachsenen Innènhof der Burgruine. Er erinnerte sich an das Gespenst, das angeblich hier umging, das sich aber weder ihm noch dem Gnom jemals gezeigt hatte. »Kommt nur, Sir Henry«, ächzte Cristofero. »Dann kann ich Euer Blut trinken…«
Im nächsten Moment schalt er sich lautlos einen Narren. Gespenster
Weitere Kostenlose Bücher