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0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

Titel: 0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang Kostenlos Bücher Online Lesen
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Treppe herabkam, stieß sie mit ihrem älteren Bruder Henry zusammen, den alle in der Familie »Hank« nannten. Er war mit seinen dreiundzwanzig Jahren schon Geschäftsführer einer kleinen Bankfiliale im nahen Kreisstädtchen und hielt es für seine Pflicht, täglich eine halbe Stunde vor den anderen Angestellten seine Bank zu betreten, obgleich es eigentlich keinen zwingenden Grund dafür gab.
    »Was willst du denn schon so früh in der Küche?« fragte Hank.
    »Ich will einen Orangensaft trinken«, erwiderte Diana würdevoll und hob das sommersprossige Stupsnäschen als wollte sie sagen: Was geht es meine Verwandtschaft an?
    »Einen Orangensaft? Und dafür stehst du extra auf, wo du noch eine Stunde schlafen könntest?«
    »Ich werde jetzt jeden Morgen zu dieser Zeit auf stehen, Brüderlein.«
    »Nein!« rief Hank entgeistert und fiel auf den nächsten Stuhl. Seine verschlafene Schwester wollte freiwillig aufstehen? Es mußte ein Wunder geschehen sein.
    »Doch«, verkündete Diana gelassen, während sie den Kühlschrank öffnete. »Warum denn bloß?«
    »Ich muß trainieren. Zuerst einen Geländelauf — sagen wir mal: zwei Meilen — und anschließend Gymnastik.«
    »Aha«, brummte Hank. »Und wozu?«
    »Vergiß nicht, daß ich eine sportliche Karriere —«
    »Au verdammt«, entfuhr es dem jungen Mann. »Richtig. Du hast doch kürzlich mal irgendwas gewonnen. Was war es doch gleich?«
    »Die Damenausscheidungskämpfe für Jiu-Jitsu.«
    »Richtig. Auf Kreisebene.«
    »Du bist gemein!« fauchte Diana. »Du weißt genau, daß ich sie für den Bundesstaat Arizona gewonnen habe! Kreisebene! Du verdammter Tief Stapler! Ich werde dir zeigen —«
    Hank riß seine Tasche an sich und verließ die Küche fluchtartig. Da er die längeren Beine besaß, erreichte er seinen alten Pontiac, bevor seine Schwester ihn einholen konnte. Mit aufheulendem Motor schoß der Wagen die Auffahrt hinab.
    Diana blieb stehen, stemmte die kleinen Fäuste in die Hüften und blies eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares aus der Stirn. Brüder! dachte sie wütend. Die überflüssigste Menschensorte, die ich mir denken kann. Man hat nichts als Ärger mit ihnen.
    Sie kehrte in die Küche zurück, goß sich ein Glas Orangensaft ein und trank es langsam, während sie in den alten Zeitungen blätterte, die Daddy schon zurechtgelegt hatte, weil er heute das Wohnzimmer neu tapezieren wollte. Schlagzeilen über Schlagzeilen glitten an ihren hellblauen Augen vorüber: Wirbelsturm in Florida — unterirdischer Atombombenversuch — Hochwasserkatastrophe in Italien — Gefechte in Vietnam — viertes Opfer des Eisenbahnmörders bei Detroit gefunden — harte Diskussion um Amerikas Außenpolitik — eisernes Sparprogramm der englischen Regierung — mehr Einberufungen zur Armee — Diana trank ihren letzten Schluck Orangensaft und holte tief Luft. Wenn sie eisern blieb in ihrem Training, hatte sie Chancen, eines Tages vielleicht die beste Jiu-Jitsu-Kämpferin der Vereinigten Staaten zu werden. Entschlossen schlüpfte sie in die bequemen Tennisschuhe, schnürte sie zu und verließ das elterliche Haus. Mammy und Daddy würden erst in einer guten Viertelstunde aufstehen, und wenn sie mit dem Frühstück fertig waren, konnte sie schon von ihrem Lauf zurück sein.
    Diana schlug den Feldweg ein, der quer durch die großen Weiden führte. Sie lief in gleichmäßigem Tempo und glaubte, später noch genug Reserven für einen kleinen Spurt zu haben. Aber sie hatte ihre Kräfte überschätzt und von Anfang an ein zu scharfes Tempo vorgelegt. Als sie die kleine Brücke am Stockwater Creek überquerte, spürte sie zum ersten Male Seitenstechen. Sie lief ein bißchen langsamer, kam noch bis zu den Birken, die fast ein kleines Wäldchen bildeten, dann mußte sie unterbrechen und verschnaufen. Mit heftig atmender Brust ließ sie sich in das weiche Gras sinken, schloß die Augen und lauschte dem Brausen ihres Blutes. Ein Glück, dachte sie, daß Hank mich jetzt nicht sieht. Natürlich würde er wieder eine seiner spitzen Bemerkungen machen. Morgen muß ich langsamer anfangen. Das wäre doch gelacht, wenn ich einen Dauerlauf von zwei Meilen nicht durchstehen könnte. Es kann nur eine Frage der Einteilung sein…
    Trotz des frühen Morgens spürte sie die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Sie mußte die Lider fest schließen, um nicht von der Morgensonne geblendet zu werden. Während sich ihr Atem langsam beruhigte, wurde ihr plötzlich bewußt, daß die Kraft

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