0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang
neben mich hin. »Warst du mal beim Militär?«
»Sicher«, log ich, obgleich ich vor lauter Arbeit beim FBI nie dazu gekommen war, einen arideren Eid zu schwören als den der Bundespolizei.
»Marine-Infantrie?« fragte er. »Ledernacken?«
»Hm«, brummte ich zustimmend. Es konnte nicht schaden, wenn ich in Trampkreisen den Ruf bekam, ein harter Bursche zu sein. Um so weniger würden sie sich an mich heranwagen. »Wie heißt du?«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Ist doch egal. Sag Jerry zu mir. Ist so gut wie jeder andere Name. Und du?«
»Ich bin Oklahoma-Tom.«
Ich dachte nach, aber Jimmy hatte diesen Namen nie erwähnt. Vielleicht war er schon zu lange aus dem Geschäft heraus, um noch alle Leute zu kennen. Aber von gut hundert Tramps hatte er mir die Namen und die Beschreibungen gegeben. Ein Oklahoma-Tom war nicht dabei gewesen. Ich betrachtete ihn von der Seite.
Er war irgendwo zwischen siebenundzwanzig und vierzig. Sein Bart war erst zwei oder höchstens drei Tage alt. Dafür franste sein Mantel bereits aus, und am linken Schuh klaffte vorn die Sohle.
»Hast du was von Detroit gehört?« fragte ich. »Ich meine, wenn man wo hin will, hört man sich doch ein bißchen um.«
»Was willst du denn wissen?«
Ich versuchte, ein möglichst hämisches Grinsen zustande zu bringen.
»Ich dachte, du wüßtest, wo ein paar nette Mädchen sind. Ich muß mal wieder was Weicheres in die Hand kriegen als die Zwiebelflasche.«
»Hast du Geld?«
»Wenn ich ein Millionär wäre, würde ich dich nicht fragen.«
»Ohne Lappen? Da wirst du schon warten müssen, bis du irgendwo mal der Nevada-Nelly begegnest. Die hat für jeden Mann was übrig, der keine Uniform trägt und keinen Sheriffstern.«
»Lieber Himmel«, brummte ich. »Ist die immer noch unterwegs?«
»Kennst du sie?«
»Ich habe nur von ihr gehört. Aber vor Jahren schon. Die muß doch jetzt bald an die Sechzig sein.«
»Keine Ahnung. Jedenfalls ist sie nicht mehr die Jüngste. Hast du einen Lungenstift?«
»Nein«, sagte ich und verspürte selbst ein steigendes Verlangen nach einer Zigarette.
Oklahoma-Tom seufzte, streckte die Beine von sich und brummte:
»Es kommt noch soweit, daß ich für zwei Tage einen richtigen Job annehme. So abgebrannt wie heute war ich lange nicht mehr.«
Ich griff in die Innentasche meines Jacketts und zog eins der sechs Bilder von Jimmy Don MacKenzie heraus, die unsere Lichtbildstelle mit seinem Einverständnis aufgenommen hatte. »Kennst du den?« fragte ich.
Er tat mir den Gefallen und nahm das Hochglanzbild in die Hand. Nachdem er es sich gründlich betrachtet hatte, schüttelte er den Kopf.
»Nein. Wer ist denn das?«
»The King.«
Ich steckte das Bild wieder ein. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich es einschicken, damit marj die Fingerspuren von Oklahoma-Tom auf der Fotografie sichern und in der Kartei auswerten konnte. Jetzt mußte ich erst einmal von Jimmy Don MacKenzie erzählen. Ich spürte, daß mich Oklahoma-Tom mit größerem Respekt ansah, seit ich ihm gesagt hatte, Jimmy sei ein alter Freund von mir.
Während ich ein paar der Geschichten von mir gab, die mir Jimmy erzählt hatte, ratterte der Zug westwärts. Der Fahrtwind pfiff scharf über unsere Köpfe hinweg, und im Osten stieg allmählich die Sonne empor. Als ihre ersten Strahlen über den Rand der Wagenwand fielen, spürte ich, wie die Müdigkeit mir mit bleierner Schwere durch die Glieder kroch. Auch Oklahoma-Tom machte Anstalten, ein Schläfchen zu halten. Ich dachte mit Wehmut an mein weiches sauberes bequemes Bett. Ein paarmal fielen mir die Augen zu, aber in dieser Haltung konnte man nicht lange schlafen. Immer wieder wurde ich wach, weil mir die verkrampften Muskeln wehtaten. Einmal wollte ich mich gerade räkeln, als mir ungefähr in der Mitte des Wagens etwas auf fiel. Auf den Kisten lag etwas, das im Sonnenlicht glitzerte.
Wird wohl die blanke Kuppe eines Nagels sein, dachte ich und wollte mich umdrehen. Dann aber überwand ich doch meine Trägheit und ging hin. Oklahoma-Tom schnarchte fest. Ich bückte mich. Es war etwas, das Tom verloren haben mußte, als er von meinen Schlägen gestolpert und gestürzt war. Ich hob es auf und besah es. Es war ein goldener Ohrclip, wie ihn junge Mädchen tragen.
***
Diana Clenswood war siebzehn Jahre alt und folglich ein Teenager nach landläufiger Sprache. Trotzdem war sie auch schon eine lokale Berühmtheit, und das hatte ihr Selbstbewußtsein enorm gestärkt.
Als sie morgens um halb sieben die
Weitere Kostenlose Bücher