051 - Die gelbe Schlange
verkehre besonders gern mit Leuten, die durch dieses Band gewissermaßen mit mir verknüpft sind, aber es genügt mir, daß Sie ein Gentleman sind.«
Dann erhob er sich plötzlich.
»Ich denke, das ist alles. In drei Tagen werden Sie mehr von mir hören, und ich muß Sie bitten, sich in der nächsten Woche von allen anderen Verabredungen und Geschäften freizuhalten. Ich hoffe, diese Bedingung ist nicht zu schwer?« fragte er lächelnd.
»Durchaus nicht«, versicherte Stephen Narth und nahm mit zitternden Händen das Geld an sich. Er war völlig außerstande, den Grund dieser Erregung zu begreifen. »Mr. St. Clay, ich muß Ihnen aufrichtig danken. Sie haben mich aus einer sehr verzweir feiten Lage befreit. Wie verzweifelt, können Sie gar nicht wissen.«
»O ja, ich weiß alles«, entgegnete der Chinese ruhig.
Und dann erinnerte sich Stephen an etwas:
»Warum hat er Sie ›Gelbe Schlange‹ genannt?«
Der Chinese starrte ihn ausdruckslos an. Stephen glaubte, er habe seine Frage nicht gehört und wiederholte sie.
»Mr. Clifford Lynne hat mich so bezeichnet«, flüsterte er langsam, und für einen kurzen Augenblick zeigte das unergründliche Gesicht des Chinesen, daß dieser Pfeil ihn tief getroffen hatte.
»Gelbe Schlange... Wie vulgär! Das sieht Clifford Lynne ähnlich!«
Doch sofort nahm er sich wieder zusammen und griff mit einem tiefen, wohllautenden Lachen nach seiner Mappe.
»Sie werden von mir hören«, wiederholte er.
Doch Stephen Narth hielt ihn noch auf: »Mr. St. Clay, was ist denn das Endziel Ihres Bundes?«
Der Chinese sah ihn einen Augenblick gedankenvoll an.
»Die Herrschaft der Welt«, war die schlichte Antwort. Dann wandte er sich mit einem Kopfnicken um und entfernte sich.
Auf diese Weise trat Grahame St. Clay, Bachelor of Arts, in das Leben Stephen Narths, und von diesem Augenblick an war dessen Geschick an den Willen eines Mannes gebunden, der ihn zuerst beherrschte und dann zugrunde richtete.
8
Joan Bray war es gewöhnt, früh aufzustehen, und bei ihrer Stellung im Narthschen Haushalt war das auch notwendig. Mr. Narth hatte keinen Hausmeister angestellt, denn seiner Meinung nach war das eine unnötige Ausgabe, solange Joan die Arbeit versehen konnte. Nach und nach hatte sie alle Pflichten auf sich genommen, die einem Hausmeister zustanden, ohne aber auch nur das geringste Entgelt dafür zu erhalten. Sie vermittelte zwischen der Dienerschaft und der Familie, sie regelte die monatlichen Abrechnungen mit den Kaufleuten und hatte dafür die heftigsten Auseinandersetzungen mit Mr. Narth zu bestehen, der jede Ausgabe für den Haushalt als eine unnötige Geldverschwendung ansah.
Ihr Tag war ganz und gar ausgefüllt. Sie hatte sich angewöhnt, schon um sechs Uhr aufzustehen, um morgens eine Stunde in der frischen Luft zuzubringen, bevor die Pflichten des Haushaltes sie ganz in Anspruch nahmen. Der gestrige Regen hatte den Boden aufgeweicht und die Luft war kühl. Aber es war ein herrlicher Morgen, der zum Spazierengehen einlud. Der Himmel stand blau über der Landschaft und nur einige weiße Wolken segelten darüber hin.
Joans Morgenspaziergang hatte heute ein ganz besonderes Ziel. Gestern abend hatte sie von ihrem Fenster aus gesehen, wie hochbeladene Lastwagen heranfuhren und im Gehölz verschwanden, und in der Nacht erlebte sie ein seltsames und erregendes Schauspiel. Ihr Zimmer war nahe genug an Slaters Cottage, so daß sie den Klang der Hämmer und Spitzhacken hören konnte. Die schwarzen Schatten der Baumgruppen hoben sich phantastisch von dem unheimlichen rötlichen Licht der qualmenden Petroleumlampen ab.
Mr. Narth war über diese ungewöhnliche Geschäftigkeit in seiner unmittelbaren Nachbarschaft sehr ungehalten. Spätabends hatte er noch einen Gang nach Slaters Cottage unternommen, um nachzusehen, wie weit Clifford Lynne seine Verrücktheit treiben wollte. Bis jetzt wußte Joan nur vom Hörensagen, was dort vorging, aber nun hatte sie Gelegenheit, sich persönlich nach dem Stand der Dinge umzusehen. Sie bog in den Weg nach Slaters Cottage ein, aber weit kam sie nicht. Eine Gruppe von Arbeitern war damit beschäftigt, den frisch angelegten Weg zu teeren. Drei schwerbeladene Lastwagen sperrten den Zugang zum Wohnhaus, das von Leuten wimmelte und sie an einen aufgestörten Ameisenhaufen erinnerte. Der Baumeister des Ortes, den sie persönlich kannte, kam lächelnd auf sie zu.
»Was halten Sie davon, Miss Joan? Tausend Pfund Reparaturkosten für ein kleines Landhaus, das kaum
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