051 - Die gelbe Schlange
alles Material als Eilgut verladen. Ich will Eichenfußböden haben, dann einen Baderaum - elektrisches Licht muß gelegt werden - ferner bauen Sie eine Warmwasserleitung ein - vor die Fenster kommen eiserne Läden. Außerdem will ich ein Schwimmbecken hinter dem Haus haben - und dieser Weg muß in eine gute Fahrstraße umgewandelt werden.«
»Das alles in sieben Tagen?« Der Baumeister war entsetzt.
»Besser noch in sechs«, antwortete Lynne. »Entweder Sie übernehmen die Arbeit, oder ich suche mir einen anderen.«
»Aber Mr. Lynne, für das Geld, das Sie diese Sache kostet, können Sie eines der schönsten Häuser in Sunningdale kaufen -«
»Aber mir gefällt gerade dieses Haus«, entschied Lynne. »Ja, und noch etwas: das Haus muß sicher vor Schlangen sein.«
Er ließ die Blicke über sein kleines Besitztum schweifen. Der Zaun, der die Grenzen bezeichnete, wurde vom Geäst der Bäume verdeckt.
»Alle diese Tannen müssen abgeholzt werden, ich brauche eine klar übersichtliche Feuerzone.«
»Was für eine Zone?« stotterte der Baumeister fassungslos.
»Die eisernen Fensterläden müssen Schießscharten haben - ich vergaß, Ihnen das zu sagen. Geben Sie mal Ihr Notizbuch her.«
Er nahm dem Architekten das Buch aus der Hand und begann zu skizzieren.
»Diese Form und ungefähr diese Maße«, erklärte er und gab das Buch zurück. »Nehmen Sie den Auftrag an?«
»Gut, ich übernehme ihn. Ich kann Ihnen versprechen, daß das Haus in einer Woche fertig ist«, sagte der Mann, »aber es wird Sie enorm viel kosten.«
»Ich weiß, was mich die Sache kostet, wenn das Haus nicht fertig ist«, unterbrach ihn Clifford Lynne.
Er zog eine Brieftasche hervor und entnahm ihr zehn Scheine, jeden zu hundert Pfund.
»Wir brauchen keinen schriftlichen Vertrag, ich verlasse mich auf Sie. Heute ist Mittwoch, die Möbel werden am nächsten Dienstag ankommen. Lassen Sie in jedem Raum Öfen aufstellen und tüchtig durchheizen. Es kann sein, daß ich Sie eine Woche lang nicht sehe, aber hier haben Sie meine Telefonnummer.«
Er wandte sich zum Gehen: »Hier in dieser Richtung ziehen Sie einen Graben bis zur Hauptstraße. Natürlich brauche ich ein Telefon, denken Sie daran, daß das Zuführungskabel unterirdisch gelegt sein muß - und zwar recht tief. Schlangen können nämlich graben!« fügte er leise hinzu.
Ohne noch ein Wort zu verlieren, stieg er in sein Auto und ratterte damit unter vielem Stoßen und Schaukeln die Straße hinunter. Dann war er den Blicken der Männer entschwunden.
»Ich werde in der nächsten Zeit wohl nicht viel zum Schlafen kommen«, murmelte der Baumeister, und damit hatte er recht.
Am nächsten Morgen regnete es, und es hatte den Anschein, daß es auch den ganzen Tag dabei bleiben würde. Das war wenigstens die Meinung von Mr. Narths Chauffeur, der gewohnt war, resigniert das englische Wetter zu beobachten.
Mr. Stephen Narth dagegen rühmte sich, überhaupt keine Notiz von der jeweiligen Witterung zu nehmen. Doch heute lag irgend etwas in dem dunklen Himmel und der düsteren Landschaft, das mit seiner geistigen Verfassung übereinstimmte und seine Niedergeschlagenheit noch vergrößerte.
Auf dem Weg in sein Büro sagte Narth sich immer wieder, daß doch gar kein Grund vorliege, nicht guten Mutes zu sein. Sicher waren die Erlebnisse des gestrigen Tages nicht dazu angetan, ihn besonders aufzumuntern, aber schließlich hatte Joan sich bereit erklärt, seinen Wünschen nachzukommen - und damit war die Bedingung des alten Bray erfüllt. Er konnte sich wirklich gratulieren.
Clifford Lynne bedeutete allerdings eine Beunruhigung - er war ihm ein Dorn im Auge. Merkwürdigerweise hatte das Auftauchen der Giftschlange in der Bibliothek Mr. Narths nicht besonders aufgeregt. Sicher war es sehr ungewöhnlich - aber er wußte nicht, daß Gelbköpfe giftig sind, und er wußte auch nicht, in welchem Zusammenhang die Übersendung dieses mysteriösen Kastens geschehen war. So griff Narth zu seiner üblichen Ausflucht - er versuchte, ein Problem zu vergessen, das er doch nicht aufklären konnte. Es war ja auch viel einfacher so. Die Lösung ging andere Leute an.
Für ihn selbst hatte der Vorfall nur die Bedeutung, daß der Teppich zur Reinigung gebracht werden mußte, wo auch die beiden kleinen Löcher ausgebessert werden sollten. Clifford Lynne nahm doch wohl alles viel zu theatralisch. Das war ein Lieblingsausdruck Stephen Narths, mit dem er alle Ereignisse des Lebens abtat, die besonders aufregend waren.
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