051 - Duell mit den Ratten
unerklärliche Symbiose zwischen Bild und Person. Vernichtete man das Bild, dann starb auch der Dämon.
Dorian konnte sich vorstellen, welche Ängste Irene Reuchlin ausstand, falls sie wußte, daß dieses Bild von ihr existierte; und er war ziemlich sicher, daß es nicht ohne ihr Einverständnis gemalt worden war. Aber warum hatte sie sich überhaupt porträtieren lassen? Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Das Gemälde mußte entstanden sein, bevor sie erfahren hatte, daß sie eine Hexe war. Dorian ärgerte sich jetzt, daß er es nicht gekauft hatte. Denn damit hätte er Irene Reuchlin jetzt in der Hand. Sie wäre ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Aber es war zu spät. Er konnte nur noch versuchen, den unbekannten Künstler zu finden und ihm das Bild abzujagen. Dorian wollte sofort nach seiner Rückkehr seine Leute ausschicken, um Namen und Adresse des Käufers herauszufinden. Wenn ihnen der Trödler nicht weiterhelfen konnte, würden sie sich in den Künstlerkreisen umhören müssen. Dorian mußte sich unbedingt in den Besitz des Bildes bringen; und er mußte es bald tun; denn die Narbe in Irene Reuchlins Gesicht kam sicher nicht von ungefähr.
Er erinnerte sich an das Gespräch zwischen dem Trödler und dem Künstler, und daß dieser das Bild nur gekauft hatte, um es zu übermalen und ein eigenes Kunstwerk daraus zu machen.
Ein einziger Pinselstrich hatte genügt, um diese häßliche Narbe in Irene Reuchlins Gesicht entstehen zu lassen. Was würde passieren, wenn der Maler das gesamte Porträt überpinselte? Das wäre der Tod der Hexe.
Nicht daß Dorian Mitleid mit ihr gehabt hätte. Aber wenn er sich in den Besitz des Bildes brachte, konnte sie ihm lebend sehr viel nützlicher sein. Mit dem Bild hätte er sie in der Hand – und er würde sie zu seiner Sklavin machen.
Dirk Rainer starrte die Öldame wie seinen Todfeind an.
»Ich werde dich zerstören!« sagte er leidenschaftlich. »Ich werde dein Gesicht durch ein Gitterwerk aus Weiß zerteilen. Auf deinen Brüsten werden sich schwarze Spiralen bis zum Schlüsselbein hinauf winden. Deine Haare werden zu Schlangen werden und dein Haupt krönen wie das der Medusa. Deinen Körper wird ein roter Blitz spalten. Und deine Hände – ja, deine Hände werden ebenfalls ein rotes Feuermal bekommen. Rot ist die Farbe des Hasses.«
Er rührte seinen breiten Pinsel im Scharlachrot, da läutete es an der Tür. Zornig warf er die Palette weg und ging, bei jedem Schritt wütend aufstampfend, um zu öffnen.
Draußen stand seine Freundin.
»Verschwinde!« fauchte er sie an und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
Wenn sie noch einmal klingelte, würde er ihr eine runter hauen. Das verfehlte seine Wirkung bestimmt nicht. Aber es vergingen Minuten, und die Türglocke schlug nicht mehr an.
Dirk Rainer entspannte sich. Er schloß die Augen und machte mit den Händen Greifbewegungen.
Plötzlich gab er einen unartikulierten Laut von sich, ergriff die Palette und malte der Öldame scharlachrote Stigmata auf beide Handrücken.
Als Coco die gewünschte Aufstellung bei Mrs. Reuchlin ablieferte, stellte Coco zu ihrer Überraschung fest, daß die Direktorin Handschuhe trug, aber sie ließ sich nichts anmerken.
»Was wollte der Geheimdienstmann von Ihnen?« fragte Mrs. Reuchlin, ohne von den Papieren aufzublicken. »Er hat sich ja ziemlich lange im Park mit Ihnen unterhalten.«
»Er hat mich über Miß Skeates Papagei ausgefragt«, antwortete Coco.
»Und was haben Sie ihm gesagt?«
»Was ich darüber weiß«, erwiderte Coco. »Daß der Papagei letzte Nacht aus meinem Zimmer verschwand.«
Mrs. Reuchlin hob den Kopf und blickte Coco in die Augen. Ihr einstmals so schönes Gesicht war durch die Narbe entstellt, aber sie tat so, als sei sie sich dieser Verunstaltung überhaupt nicht bewußt.
»Diese Aussage hat aber sehr viel Zeit in Anspruch genommen, Miß Swanson«, sagte sie. »Haben Sie nicht auch noch über andere Dinge geplaudert? Zum Beispiel darüber, wen Sie des Diebstahls verdächtigen? Der Papagei kann ja nicht ohne fremdes Verschulden verschwunden sein, nicht wahr?«
»Das nicht«, gab Coco zu, »aber ich hatte keine Veranlassung, irgend jemanden zu verdächtigen.
Mr. Hunter wollte zwar Namen von mir hören aber ich habe keine genannt.«
»Recht so, Miß Swanson«, sagte Mrs. Reuchlin anerkennend. »Ich finde auch, daß es diese Schnüffler nichts angeht, was innerhalb der Schloßmauern passiert. Wir werden mit unseren Problemen
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