051 - In den Katakomben des Wahnsinns
»Ich habe es mir anders überlegt. Es
gibt schlimmere Dinge als den Tod. Du wirst es am eigenen Leib verspüren;
schafft sie auf die Liege – sofort, schnell !«
Sie zerrten sie über den Boden. Halb ohnmächtig wurde sie auf die Liege
geworfen wie ein Sack. Die Ledergurte wurden verkürzt und ihre Hand- und
Fußgelenke damit straff umwickelt.
» Niemand kann Sanders hintergehen !«,
hallte es durch die Finsternis. Morna lag so, dass sie genau in das Gewölbe
blicken konnte, wo der Behälter stand. Sie sah das stark pulsierende Gehirn,
die sprudelnde Nährflüssigkeit, das Wechseln der Lichter von Rot und Grün und
umgekehrt.
Wie Schemen huschten die Gestalten davon. Auf dem Boden blieb die Tote, der
das Skalpell in den Kopf gedrungen war.
Plötzlich hörte sie wie aus weiter Ferne ein Geräusch. Schritte näherten
sich.
Fond tauchte auf. Wie durch einen wallenden Nebel erkannte sie eine zweite
Gestalt, groß, kräftig, mit grauen Haaren. Der Mann sah aus wie ein
Wissenschaftler. Auf seinen Armen trug er eine reglose Gestalt.
Morna sah das Gesicht des Mannes, der getragen wurde, und alles in ihr
sträubte sich, als sie begriff, wer in die Hände dieser Wahnsinnigen gefallen
war.
»Larry?« Sie begriff nicht, dass sie den Namen halblaut vor sich hin sprach.
Henry Fond gab Clay Morron mit einer Geste zu verstehen, dass X-RAY-3 auf
die Liege neben den Operationstisch gelegt und dort gefesselt werden sollte.
Der Psychotherapeut überprüfte den Sitz der Gurte persönlich und nickte
zufrieden. »Ich sehe, man kann dir vertrauen, Clay.«
Morron hatte sich seit der Fahrt nach hier damit abgefunden, dass sein
Freund Sanders ihm in dieser Gestalt gegenübertrat und sich auf diese Weise
offenbarte.
»Ich habe keinen Grund, dich zu hintergehen, George«, antwortete Morron brav.
»Aber ich habe Grund, mich zu beklagen. Warum wolltest du mich töten ?«
Fond winkte ihm.
»Ein Missverständnis, Clay«, erklärte er mit der Stimme George Sanders. »In
der letzten Zeit geht vieles schief. Es passieren Dinge, die mir erst später
bewusst werden, die ich eigentlich nicht tun wollte. – Die Zellen, Clay, sie
wuchern zu schnell! Es sind Bezirke entstanden, die den Wahnsinn verursachen.
Du musst operieren, Clay.«
Sie gingen durch die offen stehende Tür in die Katakombe, wo Sanders'
Gehirn lebte ... Clay Morrons Gesicht war ernst und verschlossen, als er vor
dem riesigen, pulsierenden grauen Schwamm stand.
»George«, murmelte er benommen und er begriff alles. Mit zitternden Händen
fuhr er sich über sein Gesicht, auf dem der kalte Schweiß stand.
●
Die Schwedin rief ständig den Namen Larry Brents. X-RAY-3 lag nur zwei
Handbreit von ihr entfernt. Er atmete flach und unregelmäßig. Seine Augenlider
zitterten.
Dann bewegte sich der Agent.
Er öffnete die Augen. Er lag so, dass er die Schwedin sehen musste. Es
vergingen zwei Minuten, ehe Larrys Blick klar wurde.
Brent zuckte kaum merklich zusammen, als er die kahlköpfige Schwedin
erkannte.
»Morna?«, seine Stimme klang wie ein Hauch. Ihr Lächeln beruhigte ihn
zunächst. Er atmete auf.
»Es sieht nicht gut aus, Larry, nicht wahr?«
Er spannte seine Muskeln. Er vermisste noch immer die Kraft, über die er
normalerweise verfügte.
»Ich fürchte, sie haben mich mit einer Dosis Curare auf Eis gelegt«,
wisperte er. »Zum Glück konnte ich den Pfeil rechtzeitig herausziehen, sonst
wäre das wahrscheinlich mein Ende gewesen.«
Die Lähmung seiner Muskeln dauerte noch an. Auch das Reden fiel ihm schwer.
Während der Fahrt zu dem abgelegenen alten Haus war er mehrmals zu sich
gekommen, hatte aber nicht die Kraft gefunden, bei Bewusstsein zu bleiben.
Immer wieder war seine Aufmerksamkeit abgeflacht. Er spürte das, als man ihn
durch die Katakomben trug, aber er war unfähig, dagegen anzugehen. Man hatte
ihn gefesselt. Er fühlte sich außerstande, die Fesseln zu sprengen.
Das makabre Spiel strebte seinem Höhepunkt zu. Brent sah weder für Morna
noch für sich eine Chance, diesem Teufelskreis zu entfliehen.
Sie waren in der Gewalt einer Macht, die sie offenbar beide unterschätzt
hatten.
Morna Ulbrandson begann zu erzählen, wie sie in diese Lage gekommen war.
Knapp und präzise gewann Larry einen Einblick. Er erkannte, wie sehr sich sein
Auftrag mit dem Morna Ulbrandsons schnitt. Offenbar hatte auch X-RAY-1 diesen
Verlauf nicht vorhersehen können. Andererseits aber war gerade durch das dichte
Zusammenliegen der beiden Handlungsorte ein Zusammenhang
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