0512 - Der lachende Tod
sich ihr näherte und jetzt den Arm ausstreckte, um mit dem Finger auf sie zu weisen.
Ein wandelndes Skelett…? Nein, nicht ganz. Eine bleiche Gestalt, teilweise noch von Fleisch umhüllt, teilweise schon skelettiert… hier und da saßen noch Muskelfasern an den Knochen, und unter den Rippen bewegten sich Organe, die sich teilweise in allen Stadien des Verfalls befanden. Und dieses morbide Wesen lachte, jonglierte fröhlich mit etwas, das wie ein schlagendes Herz aussah - das im Brustkorb fehlte!
Warum sahen die anderen Menschen dieses unheimliche, grauenerregende Wesen nicht? War es für sie unsichtbar?
Teri Rheken war dem Lachenden Tod niemals begegnet und kannte ihn auch nicht aus Beschreibungen. Woher also sollte sie ahnen, daß nur seinesgleichen in der Lage waren, ihn sofort zu erkennen, oder Menschen, die er zu seinen Begleitern auserkoren hatte?
Ihr war nur klar, daß dieses unheimliche Wesen etwas von ihr wollte - und anhand seines Aussehens konnte es nichts Gutes sein.
»Wer bist du?« stieß sie hervor.
Er deutete immer noch auf sie. »Ich bin ein alter Mann«, sagte er. »Ein Mann auf ewiger Wanderschaft…«
»Ahasver?« flüsterte Teri entsetzt und wollte es nicht wahrhaben, denn wie konnte der ewige Wanderer in Raum und Zeit dieses Aussehen haben? War er nicht immer völlig anders beschrieben worden?
»Ahasver?« Der Verwesende grinste. Er war jetzt stehengeblieben und jonglierte immer noch mit dem Herzen, lachte zwischendurch auf. Seine Stimme klang seltsam hohl. »Hat er immer noch nicht zur Ruhe gefunden, der Alte vom Anfang der Welt? Ahasver und Tammuz, die ungleichen Brüder… nein! Ich kannte sie nur flüchtig.«
»Wer bist du dann?« stieß Teri atemlos hervor. Sie achtete nicht mehr auf ihre Umgebung. Gab es dort Menschen, die ihr zuschauten, wie sie ein vermeintliches Selbstgespräch führte?
Gab es denn wirklich niemanden, der ihr gespenstiches Gegenüber bemerkte?
Es war unwichtig geworden. Wichtig war nur, daß sie erfuhr, mit wem sie es zu tun hatte, um etwas gegen ihn unternehmen zu können. Denn er mußte der Mörder sein. Dessen war sie jetzt sicher. Er war das Ungeheuer, hinter dem sie her war. Ihre Berechnung stimmte, er war hier aufgetaucht - nur etwas zu früh. Sie hatte sich noch nicht auf ihn vorbereiten können. Sie hatte gehofft, ihn zunächst beobachten zu können, um mehr über den Unheimlichen zu erfahren. Jetzt aber stand sie ihm unvermittelt gegenüber, ohne Zeit gefunden zu haben, sich auf ihn einzustellen.
Anders als geplant, hatte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
»Ich bin der Tod«, gestand er jetzt. »Ich bin der Wanderer durch die Welt und durch die Zeit. Ich bin einsam. Ich wünsche, daß du mich be…«
Instinktiv erfaßte Teri, daß sie ihn nicht zu Ende sprechen lassen durfte.
Die Zusammenhänge waren ihr zwar unklar, aber mit ihren Druiden-Sinnen spürte sie die Gefahr, die von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Sein ausgestreckter Finger und seine Worte - das mußte ein Ritual sein, das, wurde es beendet, Teri zu seinem Opfer machen würde!
»Warte!« stieß sie hervor und setzte ihre Para-Kraft ein. Sie versuchte seine Hand zu drehen, daß sie in eine andere Richtung deutete. Eher diese Aktion als ihre Aufforderung war es, was das Wesen verwirrte, das sich selbst »Tod« nannte.
Im nächsten Moment pendelte seine Hand wieder zurück, zeigte wieder auf Teri. Mit geradezu spielerischer Leichtigkeit widersetzte er sich ihrer Magie. Da versuchte sie unwillkürlich etwas anderes - mit Druiden-Magie versuchte sie das Herz in der Luft zu stoppen, als es gerade wieder hochgeschleudert wurde - am höchsten Punkt der Flugbahn wollte sie es einfangen…
Sie schaffte es nicht!
Ihr Versuch verpuffte wirkungslos. Das Herz fiel in die ausgestreckte Hand des Todes zurück, der plötzlich nicht mehr lachte. Sein halbverwestes Gesicht verwandelte sich in eine zornige Fratze. »So nicht, Silbermondweibchen«, stieß er fauchend hervor. »Das wirst du bereuen!«
Mit einem Sprung war er bei ihr, packte mit der freien Hand zu und zerrte sie auf sich zu. Sie prallte gegen seine faulige Gestalt. Sei hatte ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen mit ihrem Fangversuch. Sie ahnte nicht, daß auch Sid Amos es probiert hatte - nur mit mehr Erfolg. Das Herz aber war die Schwachstelle des Lachenden Todes; legte man es in seine Brusthöhle, verfiel er wieder in Starre und verschmolz mit seinem gleich aussehenden steinernen Standbild in der großen
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