0512 - Hard-Rock-Zombie
Schüsse mehr, kein Fall, keine Schreie, nur das leise Wimmern neben mir, das Kitty ausstieß.
»Bleib liegen, Mädchen«, sagte ich und stemmte mich selbst in die Höhe.
Ich erwartete Schlimmes, Furchtbares, doch meine Vorstellungen wurden glücklicherweise enttäuscht.
Kein Toter lag auf dem Boden. Nicht einmal ein Verletzter. Nur ich stand in einem Haufen vom Trümmern und dem Mörtelstaub, der aus den Schußlöchern an den Wänden quoll.
Wie verloren lag meine Beretta auf dem Boden. Ich bückte mich und steckte sie ein.
Von der Straße her hörte ich den donnernden Sound, als die Feuerstühle gestartet wurden.
Die Skinheads verschwanden. Sie hatten bekommen, was ihnen zustand.
Rechts entstand eine Bewegung. Zuerst kroch ein Schatten an der Wand hoch, dann sah ich die Gestalt des Wirtes, wie sie hinter dem Tresen hervorkam.
Auch Rosa tauchte wieder aus ihrer Deckung auf. Beide waren bleich und zitterten.
Ich stand inmitten der Scherben und zerbrochener Stühle. Die Lampen brannten noch. Keine Kugel hatte sie getroffen. Aber die Wände waren mit einem makabren Muster verziert, wie man es sonst nur im Krieg zu sehen bekommt.
Wo steckte der Mann mit der Baskenmütze? Okay, er war verschwunden, aber würde er zurückkehren?
Ich wollte schon auf die Tür zugehen und nachschauen, aber der Mann stieß sie bereits auf.
Wieder kam er, doch diesmal hielt er die Maschinenpistole so, daß die Mündung nach unten wies.
Er blieb stehen, und wir starrten uns schweigend an. Ich erkannte, daß seine Pupillen leicht grünlich schimmerten. Die Gesichtszüge waren nicht mehr so hart, sie zeigten sich entspannter.
»Ich glaube, daß Sie mir jetzt eine Erklärung schulden, Mister«, sagte ich leise.
»Vielleicht.«
»Sie haben Kittys und mein Leben wahrscheinlich gerettet. Dafür möchte ich Ihnen danken.«
»Vergessen Sie es. Das war nicht persönlich gemeint.«
»Trotzdem.«
Er ging an mir vorbei und nickte den Wirtsleuten zu. »Haben Sie ein Glas Wasser?« fragte er.
Zuerst rührten die beiden sich nicht. Dann reagierte Rosa und verschwand in der Küche. Sie kam mit einem gefüllten Glas wieder zurück. Ihre Finger zitterten so sehr, daß sie einen Teil der Flüssigkeit verschüttete.
Der Mann trank das Glas im stehen leer. Danach setzte er sich auf einen noch heilen Stuhl.
Auch ich holte mir ein Sitzmöbel heran und nahm ihm gegenüber Platz. Kitty blieb in der Ecke stehen, die Hände gegen die Wangen gepreßt. Rosa ging zu ihr und kümmerte sich um sie.
Ich zündete mir eine Zigarette an. Auch meine Finger vibrierten leicht. Klar, auch mich hatte die Aktion nicht kalt gelassen. »Nicht, daß Sie mir eine Erklärung schulden, Mister, ich möchte trotzdem gern wissen, wem ich mein Leben zu verdanken habe.«
Er hatte die Machinenpistole neben sich gestellt und gegen den Stuhl gelehnt. Durch den Rauchschleier starrte er mich an. »Ich heiße Aristide.«
»Wie?«
Er wiederholte den Namen. »Nennen Sie mich einfach so. Vielleicht können Sie mich auch vergessen.«
»Bestimmt nicht.«
Er nickte. »Und wer sind Sie? Ich habe draußen gewartet und etwas mitbekommen, wenn jemand zu laut sprach. Dabei ist einige Male der Begriff Bulle gefallen. Sind Sie Polizist?«
»In der Tat.«
»Aber kein einfacher?«
»Wie man es nimmt. Ich bin Oberinspektor bei Scotland Yard.«
Er schielte mich an. »Eigentlich könnten Sie John Sinclair sein.«
»Sie kennen mich?«
»Erst jetzt persönlich, aber ich habe einiges von Ihnen gehört und manchmal auch gelesen.«
»Wir sind uns nie begegnet.«
Er nickte. »Einmal jedoch hat es so kommen müssen. Das stand fest.«
»Wieso?«
»Schicksal, Fügung.« Er hob die Schultern.
Ich drückte Asche ab. »Das nehme ich Ihnen nicht ab, Aristide. Es muß etwas anderes sein.«
»Möglich.«
»Was tun Sie hier in London? Wohnen Sie hier? Wenn ja, wie lange schon?«
»Ist das ein Verhör?«
»Nein.«
»Es kommt mir so vor. Ich bin empfindlich. Sie haben mich schon einmal gestört, wissen Sie?« Er zielte mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger auf mich.
»Ja, wir trafen uns.«
»Ich hätte ihn gehabt!« zischte er mir ins Gesicht. Seine Augen funkelten dabei.
»Tiger Diabolo? Geht es Ihnen um ihn, um den Hard-Rock-Zombie?«
»So ist es.«
»Und weshalb? Was wollen Sie von ihm? Was haben Sie mit ihm zu tun?«
»Ich jage ihn. Ich will ihn vernichten. Ich muß ihn vernichten, bevor er noch mehr Unheil anrichtet. Er ist gefährlich, denn er hat es geschafft, die Skinheads
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