0518 - Der Vampir von Versailles
könnte er jetzt nicht wieder aufgetaucht sein. Nun, dies bleibt unter uns, daß Er Uns recht versteht. Wir werden Unserer Gemahlin berichten. Sie wird gewiß vor Entzücken ins Kloster gehen wollen.«
»So werden Sie ihn also heute nicht mehr empfangen, Sire? Verzeihen Sie, aber der Spanier drängt darauf.«
»Mag er drängen. Heute steht Uns der Sinn nach Höherem, als Uns mit einem Kastilier herumzuplagen. Noch dazu mit jenem.«
»Ich werde ihn abwimmeln, Sire«, versicherte der Vizemarschall und verließ das Arbeitszimmer des Königs.
***
»Tendyke«, murmelte Nicole überrascht. »Wie, bei Merlins hohlem Backenzahn, kommt er hierher?« Im nächsten Moment schlug sie sich klatschend mit der flachen Hand vor die Stirn. »DeDigue, nicht wahr?«
Zamorra nickte. Als Don Cristofero und der Abenteurer Tendyke sich damals im Château Montagne über den Weg gelaufen waren, hatte Cristofero behauptet, ihn als »Robert deDigue« zu kennen und gar nicht gut über ihn gesprochen, ihn damals - und auch hin und wieder später, wenn zufällig das Gespräch daraufkam - als einen üblen Intriganten bezeichnet. Tendyke wiederum hatte die Bekanntschaft aus uralten Tagen nicht geleugnet und Zamorra mit einem Blick auf Cristofero empfohlen, in der Wahl seiner Freunde und Bekannten etwas sorgfältiger zu sein. Ungeklärt war geblieben, wieso Cristofero und Tendyke sich schon vor 320 Jahren gekannt hatten, denn zumindest der Abenteurer und Geisterseher hatte keine Zeitreise hinter sich gebracht! Aber Tendyke selbst hatte es immer abgelehnt, darüber zu reden, oder er war dem Thema stirnrunzelnd ausgewichen. Hätte er es völlig dementiert, so hätte Zamorra Cristoferos Geschichte für ein Produkt ausschweifender Fantasie gehalten. So aber blieb die ganze Sache recht rätselhaft. Zamorra wußte zwar, daß Tendyke bereits einige Male auf mysteriöse Weise seinen eigenen Tod überlebt hatte - aber auch darüber, wie er das bewerkstelligte, sprach er nicht. Er hatte selbst damals geschwiegen, als Zamorra, Nicole und andere Gefährten bei der Rückkehr vom Silbermond mit in diesen Vorgang einbezogen worden waren, ohne sich selbst daran erinnern zu können. [2]
»Es ist nicht gut, daß wir hier sind«, sagte Zamorra. »Und wir sollten ihm nach Möglichkeit nicht über den Weg laufen. Wir müssen schleunigst aus Versailles verschwinden.«
Nicole nickte. Sie begriff. Rob Tendyke hatte bei den ausweichenden Gesprächen über Cristofero nie erwähnt, daß er auch Zamorra und Nicole in jener Vergangenheit begegnet war. Also hatte diese Begegnung wahrscheinlich nicht stattgefunden. Wenn sie jetzt Zustandekommen sollte, könnte das zu einem Zeitparadoxon führen.
»Ob es noch mehr solcher Überraschungen geben wird? Vielleicht begegnen wir auch noch dem Vorfahren von Lord Bryont Saris«, unkte Nicole.
Zamorra nickte nachdenklich. »Sobald Cristofero zurückkehrt, werden wir darauf drängen, hier so schnell wie möglich zu verschwinden. Notfalls übernehmen wir selbst die Rolle des Boten, den er wegen der Dienerschaft zum Château schickt. Man muß uns nur Pferde geben.«
Auch Nicole nickte. Das würde zwar kein Spazierritt werden, aber sie signalisierte ihr Einverständnis. Schon allein, um nicht mehr in Cristoferos nervtötender Nähe zu sein. Sie wußte, daß er einfach nicht aus seiner Haut konnte und daß ihre Abneigung irrational war, aber sie konnte nicht mehr zurück. Sie sah schon rot, wenn nur sein Name fiel.
»Verkriechen wir uns also vorsichtshalber in unserem Dienstbotenkerker«, seufzte Nicole. »Da laufen wir am wenigsten Gefahr, Rob zu begegnen.«
Es waren ja nur ein paar Meter zurück.
Sie tauchten in eine süßlich stinkende, fremde Welt.
Der Gnom hatte, um den Staub aus ihrem fensterlosen Zimmerchen zu entfernen, gezaubert - kein Wunder, daß es schnell gegangen war. Es gab in der Tat kein einziges Staubkörnchen mehr, statt dessen einen Gnom, der schuldbewußt den Kopf senkte und am kleinen Finger der linken Hand knabberte.
Anstelle von einer Staubschicht wurden Möbel, Wände und Fußboden von einer dicken Krokantschokoladenschicht bedeckt…
***
Cristofero war stinksauer. Dieser eingebildete Schnösel von König hatte ihn einfach nicht empfangen, sondern auf unbestimmte Zeit vertröstet!
Das war zwar fast zu erwarten gewesen, traf Cristofero aber dennoch tiefer. Er wußte mittlerweile, daß auch in seiner Zeit tatsächlich zwei Jahre vergangen waren. Das Zeitpendel hatte etwas zu exakt gearbeitet. In diesen
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