052 - Die Schlangengrube
gnostische Gemme. »Ein schönes Stück. Tut mir Leid. Eine Zusammenarbeit mit Ihnen kommt nicht in Frage. Das ist einzig und allein eine Sache der Sippe.«
Dorian nickte. Er hatte nichts anderes erwartet. »Sie haben aber nichts dagegen, wenn ich mich ein wenig hier umsehe und mit ein paar Leuten rede? Bedenken Sie, ich könnte Ihnen eine Menge Schwierigkeiten machen, wenn ich ausplauderte, was ich weiß, oder etwas in die Presse gelangen ließe. Aber wenn Sie mir keine Schwierigkeiten machen, mache ich Ihnen auch keine.«
»Das hört sich ganz nach einer Erpressung an. Seien Sie vorsichtig! Wir halten alle wie Pech und Schwefel zusammen. Sie könnten leicht mit gebrochenen Rippen oder einem Messer dazwischen im Krankenhaus landen, wenn Sie es übertreiben.«
»Ich will Sie nicht erpressen, sondern Ihnen helfen.«
»Wir brauchen keine Hilfe. Wir lösen unsere Probleme allein, ohne Außenstehende. Wenn Sie sich umsehen wollen, dann tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber seien Sie vorsichtig! Ich bin nicht für Sie und nicht gegen Sie. Ich trete Ihnen nicht in den Weg, aber ich schütze Sie auch nicht.«
Dorian nickte. Die Unterredung war beendet. Doch an der Tür drehte Dorian sich noch einmal. »Etwas interessiert mich noch. Es hat nichts mit dem Dämon zu tun. Wie werden Sie die Rasierklingen, Nägel und all das Zeug wieder los, das sie hinunterschlucken? Auf dem natürlichen Verdauungsweg?«
»Gott bewahre mich davor! Ich würge es nach der Vorstellung wieder heraus.«
Dorian verließ den Wohnwagen. Lucia stand drüben bei dem Bus. Matteo und Stefan, die beiden ältesten Amalfi-Söhne warteten neben dem Schauzelt, die linke Hand in der Tasche, mit der Rechten zwirbelten sie ihre Schnurrbärte. Feindschaft glomm in ihren dunklen Augen.
Dorian ging zu Lucia. Er ließ sich von der Schlange um ihren Hals nicht beirren. Es war eine hochgiftige Buschmeisterschlange, wie sie im Amazonasurwald lebten. Sie zischte Dorian entgegen.
»Ich will nichts Böses«, sagte Dorian zu Lucia.
Mit ihrem lockigen, schwarzen Haar und den dunklen Augen war sie bildhübsch. Dorian nahm die gnostische Gemme vom Hals und hängte sie ihr um. Ein schneller Wink Lucias hielt die Schlange in Schach.
Lucia lächelte Dorian an. Wie alle Frauen mochte sie Schmuck. Sie zeigte keine Regung, dass die Gemme ihr Unbehagen bereitete; im Gegenteil. Dorian war etwas beschämt. Es hatte eine Dämonenprobe sein sollen. Jetzt ließ er Lucia die Gemme als Geschenk.
»Ich will mich hier etwas umsehen«, sagte er und lächelte.
Lucia schaute zu ihren beiden Brüdern hinüber. Anatol Drago, ein stämmiger Mann Mitte Vierzig, und Gunter, der Wolfsmensch, jetzt ohne Zottelfell, hatten sich zu ihnen gesellt. Finster musterten sie Dorian.
Da nickte ihm Lucia zu und hängte sich bei ihm ein.
Dorian ging an den vier Männern vorbei. Er beobachtete ihre Gesichter, um genau zu sehen, ob sie beim Anblick der Gemme eine Reaktion zeigten. Lucia zeigte die gnostische Gemme stolz herum. Sie hielt das Geschenk für einen Gunstbeweis Dorian Hunters, ohne sich viel dabei zu denken.
Körperlich war Lucia eine bildschöne junge Frau, aber geistig war sie in vielen Dingen noch ein Kind. Sie mochte Dorian Hunter genauso, wie sie ihre Schlangen mochte, und sie setzte voraus, dass er ihr die gleiche Zuneigung entgegenbrachte.
Dorian ging durch den umgebauten Bus, in dem vier Radios lärmten, und durch den großen Wohnwagen. Er schaute sich um, grüßte freundlich und redete Belangloses. Ihm kam es nur auf die Reaktion der einzelnen Sippenmitglieder und Angehörigen der Amalfi-Schau beim Anblick der gnostischen Gemme an.
Zu Lucia waren alle freundlich. Die Schlange um ihren Hals hatte sich völlig zusammengerollt und den Kopf unter den Ringen verborgen. Dorian trafen feindselige und abschätzende Blicke. Er war ein Eindringling; nur weil Raffael anscheinend nichts dagegen hatte, dass er hier war, unternahm niemand etwas gegen ihn.
Mit den meisten ihrer Verwandten konnte Lucia sich in der Zeichensprache unterhalten. Dorian verstand die Gesten nicht; es war eine Zigeunerzeichensprache.
Zuletzt kamen sie zu Louretta, Lucias Mutter. Kaum sah sie die Gemme, da zuckte sie zusammen.
»Was ist denn das für ein Firlefanz?«, keifte sie. »Du solltest dich schämen, dir von einem wildfremden Mann so etwas schenken zu lassen. Wer weiß, was der Kerl sich hinterher einbildet. Ich verstehe Raffael nicht. Sonst sieht er in jedem Fremden zuerst einmal einen Feind, und
Weitere Kostenlose Bücher