052 - Invasion der Toten
Cyborgs weiteren Nachwuchs in die Welt setzten wollten. Ihnen reichte wohl das Experiment von Naoki und Miki, dessen Ergebnis er war. Auch wenn es niemand offen aussprach, sahen die meisten seine Existenz wohl als gescheitert an. Wozu Nachkommen reproduzieren, wenn sich das eigene Leben - bereits gesegnet mit der Weisheit von Jahrhunderten - unendlich verlängern ließ?
Irgendwann begannen Aikos kleine Fluchten. Er unternahm ausgedehnte Ausflüge in die Umgebung, denn unter den Barbaren fühlte er sich wesentlich wohler als Zuhaus. Hier wurden seine Kraft und sein Wissen bewundert, das tat ihm gut.
Unter den Nachtblinden ist der Cyborg mit den Restlichtverstärkern König,
dachte er in einem Anflug von Ironie.
Eigentlich war es ja eher peinlich, dass sich ein Mann mit seinen intellektuellen Fähigkeiten vor den Prärie Jägern aufspielte, um etwas Anerkennung zu erhalten.
Was brachte es, sich in Grubenkämpfen zu beweisen, wenn man auf zwei unermüdliche Arme aus Plysterox zurückgreifen konnte?
Gib es zu. Richtig vollwertig hast du dich erst einmal im Leben gefühlt, konfrontierte er sich selbst mit der Wahrheit.
Als du die Androiden besiegt hast. [3]
Aikos Körper straffte sich unbewusst bei den Erinnerungen, die über ihn hereinbrachen.
Bilder wirbelten durch seinen Kopf.
Die Begegnung mit Matt und Aruula.
Der explodierende Gleiter und die gelöschten Gedächtnisspeicher der Androiden, Und wie in einer Schleife immer wiederkehrend die Überraschung der befreiten Cyborgs, dass ausgerechnet er
ihre ach so überlegenen Existenzen gerettet hatte.
Das war Aikos größter Triumph gewesen.
Nur zu gerne hätte er dieses Gefühl für immer festgehalten, doch wie alles im Leben verflüchtigte es sich wieder. Lebensfreude war nichts Statisches, sie musste Tag für Tag neu empfunden werden.
Sonst wurde man ein eiskalter Klotz wie Miki Takeo. Aiko wollte Adrenalin in seinen Adern spüren, um sicher zu sein, dass er noch lebte. So wie drei Wochen zuvor, als er mit Aruula in den Microware-Turm vorgedrungen war.
Mir fehlt das Gefühl, gebraucht zu werden, analysierte er selbstkritisch.
Und stieß gleich darauf ein Seufzen aus.
Erst zweiundvierzig und schon eine Midlifecrisis.
Ziemlich früh für einen angehenden Unsterblichen.
Beide Hände am U-förmigen Lenker, schwenkte Aiko in eine breite Schneise ein, die zwischen den Häuserzeilen klaffte.
Laut dem alten Stadtplan auf seinem Display handelte es sich um ein Teilstück des ehemaligen Olympic Boulevard, doch dieser Name gehörte einer untergegangenen Epoche an. Die Einwohner von El'ay nannten diese Ecke nur Andronenallee,
weil die Gilde der Tucker zahlreiche Gebäude dieses Viertels belegte.
Jeder Händler oder Privatmann, der Lasten zu transportieren hatte, kam hierher, um Arbeitstiere und deren Lenker zu mieten.
Aikos Interesse galt nicht dem endlosen Strom der Riesenameisen, die unter ihm entlang zog. Er steuerte ein halbfertiges Wandbild an, das er an der fensterlosen Fassade eines zum Stall umfunktionierten
Holiday Inn entdeckt hatte.
Motiv und Zeichenstil erinnerten an Michelangelo, dessen Werke er aus der Datenbank von Amarillo kannte. Klassische Bilder dieser Art fanden sich Downtoon an jeder Straßenecke, das war ihm schon bei seiner Ankunft in Los Angeles aufgefallen. Selbst das Filmplakat für das Cinemaa stammte vom gleichen Künstler. Aiko war neugierig, wer da so hemmungslos die alten Meister kopierte.
Bereits zum fünften Mal an diesem Tag steuerte er das unfertige Gemälde an, und diesmal hatte er Glück. Schon von weitem konnte er eine Pinsel schwingende Gestalt ausmachen. Aiko verringerte die Geschwindigkeit des Gleiters und aktivierte den Weitsichtmodus.
Einige Sekunden lang glaubte er, dass seine neuen Rezeptionsverstärker defekt wären, denn was die elektronisch verstärkte Netzhaut erfasste, entsprach nicht seiner Erwartung von einem ehrwürdigen Künstler, der die uralten Maltechniken aufrecht erhielt. Ganz und gar nicht.
Aiko stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
Die rotblonde Frau, die auf einem wackligen Holzgerüst ihre Farben anmischte, hatte die Dreißig noch nicht erreicht.
Sie trug braune Wildlederkleidung, die aus Stulpenstiefeln, enger Korsage und Lendenschurz bestand. Fingerlose Handschuhe und zwei Schwerter auf dem Rücken ließen auf eine Kriegerin schließen, die ihren durchtrainierten Körper gerne zur Schau stellte. Die Bilder, die sie malte, offenbarten dagegen eine sensible Seite, die sie wohl hinter
Weitere Kostenlose Bücher