052 - Invasion der Toten
vor Hilfsangeboten kaum mehr retten. Wulfgar war der Erste, der sich eine Schaufel aus der Werkzeugkammer sicherte. Neben ihm stritten Olii, Acoor, Ama, Stinus und ein Andronenreiter, den keiner kannte, um Spitzhacke und Spaten.
Unter großer Beredsamkeit zog die Truppe los, doch je näher sie dem Friedhof kamen, desto schweigsamer wurden alle. Als sie die Gräber hinter den Zypressen erreichten, war nur noch das Rascheln der Blätter zu hören, die sich im Wind wiegten. Die Stimmung sank noch weiter, als sie Noaks Ruhestätte erreichten.
Sein Hügel wirkte tatsächlich frisch aufgeschüttet.
Raiker und Brina lösten sich als Erste aus der Erstarrung. Gemeinsam begannen sie das Grab auszuheben. Da sie sich mit einer Reihe von Leuten abwechseln konnten, ging die Arbeit zügig voran.
Umso eher traf sie das niederschmetternde Ergebnis. Noaks Leiche war tatsächlich verschwunden.
»Es ist also wahr«, flüsterte Raiker.
»Es gibt Leichenfledderer mitten in El'ay.«
Brina konnte seine Empörung verstehen, doch sie quälte eine ganz andere Sorge: »Was nur aus Jiina geworden sein mag? Hoffentlich haben ihr diese Kerle nichts angetan.«
Raikers Miene gefror endgültig zu Eis.
»Keine Sorge. Wir legen uns heute Abend hier auf die Lauer. Falls sich die Japse noch einmal blicken lassen, finden wir auch heraus, was mit Jiina passiert ist. Das garantiere ich dir.«
Die Umstehenden bekundeten läutstark Zustimmung, ohne zu ahnen, wie sehr sie die Gefahr für ihr eigenes Leben unterschätzten…
***
Aiko kreuzte ziellos durch die Häuserschluchten von El'ay, um die Zeit totzuschlagen, genauso wie in den Tagen zuvor.
Der Anblick seines grün lackierten Gleiters war den Menschen inzwischen vertraut; sie schenkten ihm kaum noch Beachtung. Jedenfalls nicht mehr als den zahlreichen Bellits und Frekkeuschern, die ebenfalls den Luftraum durchquerten.
Der Cyborg genoss das brodelnde Leben der Neo-Metropole, die sich aus den Überresten von Los Angeles entwickelt hatte. Hier war nicht alles so steril und mathematisch durchdacht wie bei seinem Vater im nahen San Fernando Valley. Obwohl ihn Takeo mit allem erdenklichen Komfort bewirtete, fühlte Aiko stets eine gewisse Kälte und Distanz in seiner Nähe. Die Anlage im Valley war kein Ort, an dem es ihn lange hielt.
Aber wohin sollte er sonst gehen?
Zurück nach Amarillo, wo er sich schon seit Jahren lebendig begraben fühlte?
Einzig der stete Fahrtwind, der ihm ins Gesicht fauchte, konnte ein wenig die nagende Einsamkeit in Aikos Inneren vertreiben. Das Zusammentreffen mit seinem Vater war nicht gerade nach Maß verlaufen, aber was hatte er erwartet?
Dass sein biologischer Erzeuger, der seit achtzig Jahren nur noch als gespeichertes Gedankenmuster existierte, ihn mit offenen Armen empfangen würde? Im Stillen wohl schon, sonst wäre die Enttäuschung nicht so groß ausgefallen.
Wie schon so oft in seinem Leben kam sich Aiko völlig fehl am Platze vor.
In Amarillo fühlte er sich ebenfalls nicht richtig heimisch, obwohl er seiner Mutter und den anderen Cyborgs keine Vorwürfe machen konnte. Sie taten sicher ihr Bestes, um ihn in die Gemeinschaft zu integrieren. Trotzdem konnte er stets die Distanz zu den Unsterblichen
spüren, die ihm gut fünfhundert Jahre Lebenserfahrung voraus hatten. Er war der Einzige seiner Altersklasse. Es gab niemanden mit ähnlichem Erfahrungshorizont, mit dem er sich austauschen konnte.
Die Wissenschaftler der Enklave hatten eine ganz andere Entwicklung durchlaufen als er. Die Zeit vor »Christopher-Floyd«, die sie noch selbst miterlebt hatten, war in ihrer Erinnerung längst zu einem Idealbild verklärt. Der Schock des Kometeneinschlags hallte in ihnen nach. Sie hatten sich radikalen Lebensveränderungen stellen und brutale Kämpfe ausfechten müssen - das wollten sie nie wieder erleben. Nach den Dekaden des Wiederaufbaus genoss das Streben nach Ruhe und Abgeschiedenheit für sie höchste Priorität.
In fünfhundert Jahren hatten sie nicht nur ihre Forschungen zur Körperregeneration verfeinert, sondern auch alle Abläufe in der Enklave bis ins kleinste Detail optimiert. Jeglicher Änderungsvorschlag wurde als ineffizient gebrandmarkt.
»Daran haben wir vor dreihundert Jahren auch schon mal gedacht, aber es hat sich nicht bewährt«, war der meistgehasste Satz in Aikos Leben.
Er brauchte sich nichts vormachen. In Amarillo war er das schwächste Glied der Gemeinschaft und würde es zeitlebens bleiben. Es sah nicht danach aus, als ob die
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