0523 - Tod dem Vampir!
Angriff erfolgte. Die Wohnung war leer, die Balkontür offen.
»Ausgeflogen«, stellte Gryf lapidar fest. »Wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes…«
Immerhin können Hexen fliegen…
***
Der Vampir kauerte hilflos am Straßenrand. Aus heiterem Nachthimmel war er abgestürzt, nur wenige Augenblicke, nachdem zwei Autos unter ihm die Straße entlanggefahren waren. Er konnte froh sein, daß er nicht vor ihnen auf den Asphalt gestürzt war. Dann wäre er jetzt kaum mehr als ein »Tierkadaver« am Straßenrand - bis zum Sonnenaufgang. Dann würde er, in seinem geschwächten Zustand von dem Zusammenstoß mit dem Wagen flugunfähig gemacht, zu Staub zerfallen.
Von einem Moment zum anderen hatte ihn seine Kraft verlassen. Er schaffte es nicht einmal, wieder Menschengestalt anzunehmen. Als übergroße Fledermaus mit zusammengefalteten Flughäuten hockte er im Gras der Straßenböschung und fragte sich ernsthaft, ob er überhaupt noch eine Chance hatte, diese Affäre zu überleben.
Er hatte nicht ganz die Hälfte der Flugstrecke nach Lancin hinter sich gebracht, konnte schon die Lichter von Gremieu sehen. Da hatte es ihn niedergezwungen. Von einem Moment zum anderen hatten seine Flughäute ihn nicht mehr getragen. Da hatte er schließlich erkannt, daß es keine Krankheit war, von der er beherrscht wurde, sondern ein fremder magischer Einfluß.
Er hatte einen Gegner, der ihn mit Magie zu vernichten bemüht war.
Er dachte an den Jäger, der seit Wochen hinter ihm her war. Aber der ging anders vor; er suchte die direkte Konfrontation. Das hier war nicht sein Stil. Eine andere Macht war im Spiel. Ein anderer Vampir, in dessen Revier er aus Versehen eingebrochen war, konnte es aber auch nicht sein; erstens handelte es sich nicht um Vampir-Magie, und zweitens gehörte dieser Landstrich seit eh und je traditionell zum Einflußbereich der Sarkana-Familie. Jeder Sippenangehörige hatte hier uneingeschränktes Jagdrecht.
Der Vampir war jetzt sicher, daß Tiffany Villiers seine Gegnerin war. Ron Lecoq war harmlos gewesen, hatte aber nichts davon geahnt, daß seine Freundin über nichtmenschliche Fähigkeiten verfügte oder vielleicht sogar nicht einmal menschlich war. Denn er hatte dem Vampir nichts verheimlichen können.
Vermutlich handelte es sich bei Tiffany Villiers also um eine Hexe. Es war sein Pech, daß er sie gebissen und von ihrem Blut getrunken hatte. Ein dummer Zufall, weil sie sich ihm nicht rechtzeitig zu erkennen gegeben hatte. Irgendwie mußte sie dabei Macht über ihn gewonnen haben. Es gab keine andere Möglichkeit.
Er fragte sich nur, warum sie ihn nicht gleich getötet hatte, sondern dieses grausame Spiel mit ihm veranstaltete…
Denn wenn die Sonne aufging, würde er sterben. Geschwächt, wie er war, konnte er selbst nebelverhangenem Tageslicht im Schatten eines Baumes oder einer Erdaufwerfung nichts mehr entgegensetzen.
Wenn er es nicht doch noch irgendwie schaffte, zurückzufliegen und sich in seinen Sarg zu legen, der mit Heimaterde gefüllt war, war er tot.
***
Gryf amtete auf. »Keine Gefahr, keine Fallen. Ich hatte das Mädchen für weniger leichtsinnig gehalten«, gestand er. »Hier, schau dir das an, Alter. Eine Kristallkugel auf schwarzem Samt…«
Zamorra trat heran. »Schwarze Seide liegt dort hinten… darin wird die Kugel eingewickelt gewesen sein. Das heißt, mit dem Samttuch hat es eine besondere Bewandtnis. Hier - das scheint ein Blutstropfen zu sein.«
»Nicht anfassen!« warnte Gryf.
»Hältst du mich für senil?«
»Willst du darauf eine ehrliche Antwort?« spottete der Druide.
Zamorra winkte ab. »Lieber nicht. Wollen doch mal sehen, was diese Kristallkugel der Hexe gezeigt hat.«
»Einen dunklen, engen Raum«, sagte Gryf. »Das war der Eindruck, als ich die Tür öffnete. Mehr konnte ich nicht sehen, weil sie mich sofort mit einer Art magischem Schlag niederstreckte, von dem ich mich immer noch nicht erholt habe. Anschließend wollte sie mir die Kehle durchschneiden.«
»Und Madame Picard soll sie ebenfalls mit einem Messer bedroht haben…«
Er beugte sich über Kristall und Tuch und bedauerte erneut, daß das Amulett ihm immer noch den Dienst verweigerte. Merlins Stern hätte als »Schlüssel« fungieren können. Aber mit Sicherheit war dieses Rätsel auch mit normalen magischen Mitteln zu knacken.
Zamorra versuchte sich zu erinnern, wie man mit Kristallkugeln umging. Sein Handicap war, daß er kaum jemals damit zu tun gehabt hatte. Aber er bekam es noch auf die
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