0529 - Der Dschinn
- wieso war er überhaupt dieser Ansicht?
***
Der Dschinn fühlte, daß Magie aktiv wurde. Rasch eilte er dorthin, wo sie eingesetzt wurde.
Überrascht sah er, daß Zamorra versuchte, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Er wollte herausfinden, was geschehen war!
Dadurch würde er natürlich der Realitätsveränderung auf die Spur kommen. Das barg die Gefahr, daß Zamorra ihn wieder in die Flasche verbannen würde, der er soeben erst entronnen war.
Immerhin mochte er durch den Eingriff in die Realität an eine Bedrohung glauben. Bedauerlicherweise besaß der Dschinn keine Möglichkeit, Zamorra daran zu hindern, wie er auch damals diesen Chaoszauberer nicht hatte hindern können.
Doch dann, ganz plötzlich, löste sich das Problem scheinbar von selbst. Im entscheidenden Moment wurde Zamorra von der Vergangenheit getrennt und seine Beobachterperspektive in die Gegenwart zurückgeschleudert.
Und von einem Augenblick zum anderen war alles in Ordnung…
***
In der folgenden Nacht träumte Zamorra, daß ein Fremder durchs Château spukte. Er versuchte, seiner habhaft zu werden, aber das gelang ihm nicht. Er konnte nicht einmal das Gesicht des Fremden erkennen, der durch Wände ging. Und er wußte nicht, ob es sich um ein menschenähnliches Wesen mit übersinnlichen Fähigkeiten handelte, oder um ein nichtmenschliches Geschöpf, vielleicht einen Dämon… Plötzlich bekam er diesen Unheimlichen doch noch zu fassen, und im gleichen Augenblick, in dem er ihn mit seinen Händen berührte, zeigte sich der Fremde ihm in seinem wahren Aussehen und entpuppte sich als Nicole Duval mit dem Kopf von Raffael Bois, um im nächsten Augenblick zu explodieren und in einer weißen Rauchwolke zu verschwinden.
Zamorra hatte den vagen Eindruck, diese weiße Wolke schon einmal gesehen zu haben, aber als er später erwachte, konnte er sich nur noch undeutlich an Einzelheiten dieses Traumes erinnern. Je mehr er darüber nachgrübelte und versuchte, sich an Einzelheiten zu erinnern, um so schwerer fiel es ihm, bis die Details schließlich restlos verschwanden.
Nicole war bereits auf den Beinen. Sie begrüßte Zamorra mit einer innigen Umarmung und einem herzlichen Kuß, der ihn fast vergessen ließ, daß er in der letzten Nacht allein geschlafen hatte, weil Nicole es scheinbar vorzog, den ganzen Abend über ihre Gemächer nicht mehr zu verlassen. Sie frühstückten gemeinsam, und Nicole eröffnete ihm, daß sie gestern mit Rom telefoniert und die Einladung von Ted Ewigks Freundin Carlotta angenommen habe, Roms Boutiquen unsicher zu machen und sich der neuesten Sommermode zu widmen. »Wichtige Arbeiten liegen ja nicht an, und ich denke, du wirst den Tag auch allein irgendwie hinter dich bekommen.«
»Einkaufsbummel… Boutiquen…« Zamorra seufzte. »Wann willst du das Zeug überhaupt tragen? Na schön… bestell Carlotta herzliche Grüße, und wenn du Ted zufällig siehst, dem natürlich auch!«
Sie hatte recht; es lag im Château derzeit tatsächlich nichts Wichtiges an. Die Post, die sich in früheren Monaten angestaut hatte, war abgearbeitet, die Texte für die Vorlesungsreihe, die Zamorra im kommenden Semester an der Sorbonne in Paris halten wollte, waren fertig und vom zuständigen Dekan höchst wohlwollend abgesegnet - und scheinbar hielten die Dämonischen derzeit auch Ruhepause. Die Ruhe vor dem Sturm, wie Zamorra um so mehr befürchtete, je länger dieser Zustand andauerte. Noch vor einem halben Jahr waren sie von einem Abenteuer ins andere gestürzt und hatten kaum ein paar Tage Ruhe gefunden, und jetzt geschahen nur noch selten und in größeren Abständen Dinge, die ein Eingreifen erforderten. Die letzte wirklich große Aktion war Sara Moons Versuch gewesen, den ERHABENEN der DYNASTIE DER EWIGEN zu stürzen.
Dabei war sie verschollen und möglicherweise tot; niemand konnte mit Sicherheit sagen, was aus ihr geworden war. Zamorra vermutete, daß sie in die Vergangenheit geschleudert worden war. Es gab da möglicherweise einen Anhaltspunkt, aber er war nicht sicher, ob seine Theorie stimmte.
Denn dann hätte Sara in eine Zeitspanne vor ihrer Geburt geschleudert werden müssen. Vielleicht ließ sich das eines Tages überprüfen, wenn sie wieder einmal zum Silbermond gelangten. Aber der befand sich erstens um drei Minuten in die Zukunft verschoben und zweitens in eine künstliche Welt des Träumers Julian Peters eingebettet. Nur mit Julians Einwilligung war es möglich, über ihn diese Traumwelt und damit auch den
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