0529 - Der Würgeadler
unwohl. Keiner von ihnen schaffte es, uns in die Augen zu schauen, doch ich lächelte ihnen zu. »Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Was wir tun, das geht allein auf unser Konto. Sie sind außen vor.«
»Wenn Sie meinen«, sagte Paul.
»Wir werden sehen«, widersprach sein Vater mit einer Stimme, die Unglauben zeigte. »Versuchen Sie es. Ich bin der Ansicht, daß Sie sich nicht gegen das Schicksal stemmen können, wir übrigens auch nicht.«
Suko war bereits vorgegangen und hatte unsere Jacken geholt, die wir überstreiften. Auch die Reisetasche trug er in der rechten Hand.
Es war seltsam, aber weder Suko noch ich verabschiedeten sich von der Familie Grenier.
Mein Freund stieß die Tür auf. Der Wind hatte gedreht. Er fuhr in unsere Gesichter und brachte Schnee mit, als wollte er die Haut mit eisigen Fingern streicheln.
Wir schritten auf den Wagen zu, die Greniers blieben erwartungsvoll in der offenen Tür stehen. Von dieser Stelle aus konnten wir den bewußten Hang leider nicht sehen. Wir hätten beide gern gewußt, ob sich die Haltung des Flügels dort verändert hatte.
Van Akkeren erwartete uns grinsend. Als ich die Fahrertür aufzog, fing er an zu schimpfen. »Es wurde auch Zeit, daß ihr kommt. Ich friere mir hier was ab.«
»Das wird sich gleich ändern«, erklärte ich.
»Wieso?«
»Wir fahren.«
Van Akkeren bekam einen wahren Lachanfall. »Was redest du da? Du willst fahren?«
»Ja.«
»Das ist nicht möglich. Denk mal nach, wie hoch der Schnee liegt. Wo willst du denn hin?«
»Nach Genf«, sagte Suko beim Einsteigen und hämmerte die Tür zu.
»Verrückt, ihr seid verrückt. Schon geisteskrank.« Die Stimme des Grusel-Stars kiekste. »Aber mir ist es egal, mir passiert sowieso nichts, das spüre ich genau. Ich bin geschützt, ich habe den Schutz des Teufels und seiner Diener.«
Wir ließen ihn reden und auch weiterhin in seinem Glauben. Ich hatte den Zündschlüssel ins Schloß geschoben, drehte ihn und wartete darauf, daß der Motor ansprang.
Es klappte nicht.
Nichts war zu hören. Kein Geräusch, kein Drehen, kein Orgeln, kein Kratzen, alles blieb still.
Beim vierten Versuch gab ich es auf und warf Suko einen Blick zu, der nur fragte: »Kann es an der Batterie liegen?«
»Kaum, mein Lieber, das muß etwas anderes sein. Etwas völlig anderes. Du weißt Bescheid.«
»Sicher, Schwarze Magie.«
»So ist es.«
Van Akkeren hatte unseren Dialog gehört, der ihn natürlich köstlich amüsierte. »Na, ihr beiden«, sagte er und lachte kichernd.
»Kommt ihr nicht weg?«
»Scheint so.«
»Ja, Chinese, manchmal muß man eben Konzessionen machen. Das Wetter ist auch zu schlimm.«
»Ich kenne etwas, das ist schlimmer«, sagte Suko und schaute zu, wie ich wieder einmal versuchte, den Motor zum Laufen zu bringen, aber keinen Erfolg hatte.
»Wir müssen wohl bleiben«, sagte van Akkeren. »Oder willst du den Wagen schieben, Sinclair?«
»Halt dein Maul, van Akkeren!«
»Sauer?«
»Nein, Realist.«
Suko öffnete die Tür. Jacques Grenier kam auf den Renault zu. Sein Gesicht war ein »Fragezeichen«. »Es klappt nicht – oder?«
»Nein!«
»Ich verstehe etwas von Autos, habe auch schon Traktoren repariert. Soll ich nachschauen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das wird wohl keinen Sinn haben. Ich glaube nicht, daß wir es hier mit einem mechanischen Defekt zu tun haben. Das hier ist etwas anders. Da haben fremde Kräfte ihre Hände im Spiel. Glauben Sie mir.«
»Der… der Adler?«
»Indirekt vielleicht.«
Grenier schaute durch die Fenster auf van Akkeren. »Das ist er also«, sagte er leise.
»Ja.«
»Sieht eigentlich ganz normal aus.«
Ich schmunzelte. »Es wäre schön, wenn wir jedem Verbrecher am Gesicht ablesen könnten, daß er einer ist. Dann gäbe es für die Polizei weniger zu tun.«
»Und jetzt?« fragte Grenier. »Sagen Sie mir ruhig die Wahrheit, Monsieur Sinclair.«
Ich hob die Schultern. »Jetzt müssen wir wohl oder übel auf unseren Freund warten.«
»Den Adler?«
»So ist es.«
»O je, das wird hart.«
»Sie sagen es.«
»Gibt es schon einen Plan?«
Ich hob die Schultern. »Manchmal ist es gut, wenn man der Gefahr direkt ins Auge schaut.«
»Wie meinen Sie das denn?«
»Man könnte in die Höhle des Löwen gehen. Das heißt, wir werden uns dorthin begeben, wo wir den Flügel oder die Schwinge entdeckt haben. Das ist alles.«
Jacques Grenier bekam einen starren Blick. »Sind… sind Sie eigentlich lebensmüde?«
Ich hämmerte die Fahrertür
Weitere Kostenlose Bücher