0529 - Der Würgeadler
hartgefrorene Schnee regelrecht zerknackte.
Dann war der Flügel frei.
Wir bekamen Beklemmungen, als wir ihn sahen. Es war nicht abzuschätzen, wie viele Meter er breit war, jedenfalls war es immens. Weder Suko noch ich gaben einen Kommentar. Wir konnten diesem kaum glaublichen Vorgang nur zuschauen und hoffen, daß wir mit heiler Haut herauskamen.
Plötzlich sprang die Schwinge hoch, als wäre sie von einem Katapult gestartet.
Nicht nur sie geriet ins Freie, auch zahlreiche Schneebrocken flogen in die Höhe.
Lawinenartig rollten sie den Hang hinab, rissen anderen Schnee mit, und die Masse rollte auch in unsere Richtung.
Wir preßten uns gegen die Hüttenwand. Das Gebäude selbst wurde von der pappigen Masse erwischt. Wir hörten es krachen, als das Holz durchgeschüttelt wurde. Auch über das Dach rutschten Eisklumpen mit den Schneebrettern hinunter.
Konnte das gutgehen?
Ich dachte daran, wie leicht in den Bergen eine Lawine auszulösen war. Was wir erlebten, waren die Vorboten davon. Eigentlich hätten wir wegrennen müssen, doch es war wie ein innerer Zwang, der uns auf der Stelle bannte.
Suko dachte so wie ich. »Bist du schon mal von einer Lawine gepackt worden, John?«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Dann werden wir wohl gleich das Erlebnis haben.«
Wir blieben trotzdem. Noch war die aufgewirbelte Schneewolke nicht so dicht, als daß sie uns den Blick auf das nahm, was da vor sich ging.
Der erste Flügel des Adlers war freigekommen. Er schwang auf und nieder, als wollte das Riesentier versuchen, sich für einen Flug über die Berge fit zu machen.
Schwer klatschte er auf den Hang, und seine breite Seite befand sich nicht einmal weit von uns entfernt.
Ich dachte daran, es mit geweihten Silberkugeln zu versuchen, ließ die Beretta aber stecken, denn plötzlich ragte der Kopf des Riesenadlers aus dem Schnee.
Es war fast wie bei einem Erdbeben. Kopf und Hals stießen ins Freie wie eine Säule. Zugleich brachten sie Massen an Schnee und Eis mit, die, der Schwerkraft gehorchend, sich abwärts in Bewegung setzten.
Der Adler interessierte uns nicht mehr. Wir mußten zusehen, daß wir dieser Lawine entkamen, die zudem noch Geröll mit sich führte.
In das Donnern der Massen hinein erklang ein gewaltiger, schriller, falsettenhafter, hoher Schrei, der uns das Blut in den Adern gefrieren ließ. So grausam und andersartig, wie wir ihn noch nie zuvor im Leben gehört hatten.
Auch der zweite Flügel erschien. Wir sahen ihn als einen sich auf-und abbewegenden Schatten, mehr konnten wir nicht erkennen, denn dann hatten uns die Schneemassen erreicht.
Sie polterten auch gegen die Hütte, die diesem immensen Druck nicht standhielt, obwohl sie von angewehten Schneemauern geschützt wurde. In das Donnern hinein klang das Brechen des Holzes. Da flogen Balken weg wie Streichhölzer, überschlugen sich in der Luft, nur bekamen wir das alles nicht mehr mit, denn die ersten Ausläufer der Lawine hatten uns bereits erwischt und von den Beinen gerissen.
Suko verschwand als erster.
Ich bekam noch mit, wie er krampfhaft die Tasche mit dem Dunkel Gral festhielt, dann tauchte der Körper meines Freundes in eine tanzende und wirbelnde Masse aus Schnee, Eis und auch Steinbrocken. Er wurde mit einer Gewalt in die Tiefe gezerrt, der auch ich nichts entgegenzusetzen hatte.
Eine kaum glaubhafte Kraft riß mir die Füße weg. Ich hatte das Gefühl, irgendwohin zu fliegen, schwebte aber nicht, sondern landete bäuchlings auf der glatten Fläche, die mich in die Tiefe zerrte.
Vom Dorf aus waren wir den Hang hochgestiegen. Jetzt rutschten wir dem Ort wieder entgegen und wußten beide nicht, wo oben, unten, vorn oder hinten war.
Ich hatte mich zusammengerollt und die Arme über dem Kopf verschränkt, um ihn zu schützen. Die Massen trieben mich weiter.
Es gab einfach kein Halten mehr für mich. Ich tauchte hinein in eine weiße Welt.
Die Lawine fraß alles, auch uns hatte sie geschafft. Ich war zu einem Ball geworden, der immer weiter in die Tiefe gestoßen wurde, bekam Schläge, Tritte, Püffe und was weiß ich nicht alles mit.
Mein Gedankenapparat funktionierte noch normal, und ich malte mir Bilder aus, die sich noch in meiner Erinnerung befanden und die ich vom Fernsehschirm her kannte, als man Orte und Menschen zeigte, die von einer Lawine überrollt worden waren.
Ein Lawinen-Experte war ich nicht. Diese hier, in der wir uns befanden, gehörte allerdings nicht zu den größten. Es war eher eine kleinere gewesen.
Ich
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