053 - Der Brigant
kleine Wohnung zurück, zog seinen Rock aus und setzte sich an die Arbeit. In einem Kasten in seinem Schlafzimmer verwahrte er ein halbes Dutzend uralte Pergamentblätter, und er verbrachte den Rest des Morgens und den größeren Teil des Nachmittags damit, diese Blätter mit seiner zierlichen, feinen Handschrift zu füllen.
Mr. Montague Flake war eine der führenden und hochangesehenen Persönlichkeiten in der Londoner Geschäftswelt. Er kontrollierte alle Buttermärkte von London, Kopenhagen und Rotterdam, vor dem Kriege auch von Tomsk. Hieraus kann man ersehen, daß er damals schon große Bedeutung besaß und in der Lage war, durch Aufkäufe die Butterpreise in die Höhe zu treiben.
Offiziell kontrollierte Mr. Flake allerdings den Markt nicht. Und offiziell war auch nichts davon bekannt, daß er die Margarinepreise steigerte. In seinen Geschäften - es gab sechshunderteinunddreißig Filialen der Firma Flake in ganz England und Schottland - war eine Bekanntmachung angeschlagen, die die Verbraucher benachrichtigte, daß die Direktion ihr Bestes tue, um genügend Butter und Margarine zu beschaffen, daß es aber infolge der schlechten Heuernte in Dänemark und des geringen Rübenertrages in Irland sehr schwer sei, die genügenden Mengen beizubringen. Hierdurch stünden weitere Frachtaufschläge bevor (in Wirklichkeit verteilten sich diese und machten auf das Pfund höchstens ein Zehntel Penny aus), und die Gesellschaft wäre ganz gegen ihren Willen gezwungen, den Butterpreis um zweieinhalb und den der Margarine um zwei Pennies zu erhöhen.
Die Käufer ließen sich denn auch durch diese Bekanntmachung beeinflussen und zahlten die höheren Preise. So flossen viele Millionen Pennies in die Taschen Mr. Flakes.
Er besaß ein großes Haus am St. John's Square, eine Musterfarm in Norfolk, ein Landgut in Kent, eine Jagd in Yorkshire und eine Lachsfischerei in einem Fluß in Schottland. Er verstand weder etwas von Landwirtschaft noch vom Jagen oder Fischen, aber das waren nun einmal die Dinge, die reiche Leute besaßen, und infolgedessen hatte er sie auch.
Man erzählte sich, daß er am glücklichsten sei, wenn er an einer einsamen Stelle auf seinem Landgut am Ufer des Sees sitze, seine nackten Füße ins Wasser hängen lasse, eine Tonpfeife rauche und dabei die Gerichtsverhandlungen über die Ehescheidungsprozesse verfolge.
Er hatte harte Gesichtszüge, war Witwer und lebte allein in seinem Hause mit Ausnahme einer Haushälterin, drei Sekretärinnen, vier Chauffeuren, zwölf Dienern und einer ganzen Armee von Köchinnen und Dienstmädchen.
Mr. Flake saß in seiner prächtigen Bibliothek an einem Tisch, der größer war als die Schlafzimmer, in denen die Mehrzahl seiner Kunden nachts ruhte. Er kaute an dem Federhalter, denn er war dabei, ein Schriftstück aufzusetzen. Er hatte erst zwanzig Zeilen geschrieben, als ihm ein Besuch gemeldet wurde. Er nahm die Karte, die ihm auf einem silbernen Tablett gereicht wurde, und las den Namen, ohne großes Interesse zu zeigen:
NEWTONS PRIVATDETEKTIVBÜRO
Captain Anthony Newton,
Inhaber des Militärkreuzes und Ritter des Militärverdienstordens, früher beim Blitheshire-Schützenregiment.
Er sah zu seiner Sekretärin auf, die dem Diener ins Zimmer gefolgt war.
»Was will er denn von mir? Sagen Sie ihm doch, daß er sein Anliegen schriftlich vorbringen soll.«
»Er besteht darauf, Sie persönlich zu sprechen. Ich sagte ihm schon, daß Sie beschäftigt seien.«
»Also lassen Sie ihn herein«, rief Mr. Flake ärgerlich.
Anthony trat mit ernster, geschäftsmäßiger Miene ins Zimmer. Er war tadellos gekleidet.
»Nehmen Sie bitte Platz, Captain Newton«, sagte Mr. Flake und deutete mit seiner wohlgepflegten Hand auf einen Stuhl.
»Was kann ich für Sie tun?«
Mr. Newton zog seine Handschuhe langsam aus, legte sie neben seinen Hut, dann nahm er ein Notizbuch aus der Tasche und blätterte darin.
»Vor einigen Tagen kauften Sie doch eine Anzahl verschiedener Manuskripte in Florettis Auktionshaus?«
Mr. Flake nickte.
»Sie befanden sich früher im Besitz des verstorbenen Lord Witherall, der Handschriften sammelte, und sie umfaßten eine Anzahl mehr oder weniger wichtiger Urkunden ...«
»Mehr oder weniger wertloser Dokumente«, unterbrach ihn Mr. Flake etwas schroff. »Ich habe mehr wegen des Kastens als wegen der Manuskripte geboten. Ich hatte noch keine Zeit, sie durchzusehen.« Anthonys Augen glänzten, als er das hörte.
»Und ich glaube auch nicht, daß die
Weitere Kostenlose Bücher