053 - Schrei, wenn dich der Hexentöter würgt
Hexe getötet, noch ehe sie ein Geständnis gesprochen hatte... Schweißgebadet
wachte Michael Thielen nach dieser dritten Injektion auf. Es dauerte viele Minuten,
ehe er sich wieder zurechtfand, ehe er begriff, wo er sich aufhielt und wer er wirklich
war. Und es schien ihm, als würde eine Zentnerlast langsam von seinem Körper genommen.
Er erhob sich. Er war völlig erschöpft, als hätte er
einen langen, anstrengenden Lauf hinter sich. Mit zitternden Händen fuhr er
sich über die schweißnasse Stirn und versuchte die Dinge ins Lot zu bringen,
die er eben noch gesehen hatte. Da fielen ihm die Fußspuren auf dem Fußboden
auf. Krumiger Boden, ein vertrocknetes Blatt – Walderde ? Er vergaß
diesen dritten Versuch und diesen dritten Traum nie. Wie unter dem Druck einer
unsichtbaren Hand bewegte er sich daraufhin zur Folterkammer und sah das blonde
Mädchen auf der Streckbank liegen! Erst jetzt wurden ihm auch die Blutspuren an
seinen Fingern bewußt.
Er begriff alles – und verstand es dennoch nicht. Es
war zu ungeheuerlich, als daß es in sein aufgepeitschtes Bewußtsein einging.
Der Traum – gar kein Traum mehr, sondern harte,
brutale Wirklichkeit . Er, Michael Thielen – hatte getötet? Ein
unschuldiges, blondes Mädchen? Aber das war er doch nie gewesen, das war
Martinus in ihm, sein teuflischer Vorfahre, in dessen Geistesspuren er sich
bewegt hatte, dessen Anlagen sich in ihm wiederfanden und die
er durch einen chemischen Prozeß in sich freigesetzt hatte.
Benommen starrte er auf den Leichnam der Blonden, die
er im Wirtshaus besucht hatte, die ihn mit auf ihr Zimmer nahm und die ihr
Schäferstündchen mit ihm schließlich im Wald – aus Furcht vor Entdeckung –
fortsetzen wollte. Wäre sie im Wirtshaus geblieben – sie würde vielleicht noch
am Leben sein...
Ohne daß Michael Thielen es bemerkte, war die Grenze
zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt worden. In Trance hatte er das Haus
verlassen, und nur ein Wunsch in seinem Unterbewußtsein erfüllte ihn: eine Hexe
zu töten, eine schöne blonde Hexe... Er löste den Leichnam von der Streckbank, wickelte
ihn in alte Tücher und verstaute ihn draußen im Kofferraum seines Wagens. Das
Auto, das ihm auch im Traum auffiel! Der Anachronismus – der gar keiner war!
Er fuhr den Leichnam auf einen Feldweg, warf ihn
achtlos weg und kehrte dann in das einsame Haus zurück.
Die Zeitungsmeldungen am übernächsten Tag sprachen für
sich. Man fand die Gefolterte, und man suchte nach dem unheimlichen Täter.
Vergebens! Aber es war, als würden die Beamten, die sich mit dem Fall
beschäftigten, unbeabsichtigt etwas erkennen. Sie bezeichneten den Mörder als
Hexentöter und ahnten nicht, wie nahe sie damit der ungeheuerlichen
Wirklichkeit kamen.
All diese Dinge liefen in Sekunden vor dem geistigen
Auge Michael Thielens alias Martinus‘ ab, während er die Ortsgrenze seines
Heimatdorfes erreichte... Dann kam der vierte Traum. Michael Thielen spritzte
sich nur ein Minimum der Dosis, die er bisher benutzt hatte. Doch die Wirkung
war die gleiche. Was geschah, erlebte er wieder wie im Traum, wie im Rausch.
Zwei Tage später fand man eine zweite unbekleidete
Frauenleiche, dreißig Kilometer vom Ort des ersten Verbrechens entfernt. Wieder
war das Mädchen – ebenfalls eine Blondine – durch Folterung ums Leben gekommen.
Die Bevölkerung wurde aufgefordert, mitzuarbeiten. Eine Bestie in Menschengestalt
mußte sich irgendwo verborgen halten und die furchtbaren Morde inszenieren.
Die Polizei stand vor einem Rätsel, und auch die
Menschen fragten sich vergebens, wer der Unheimliche sein könnte. Man bekam es
mit der Angst zu tun. Gerade die Bewohner in den kleinen, abseits gelegenen
Dörfern fürchteten sich. Die jungen Frauen und Mädchen mieden nach Einbruch der
Dunkelheit die Straße und wagten nicht mehr, das Haus zu verlassen. Auch viele
Männer hielten sich seitdem häufiger in der Wohnung auf, als dies normalerweise
der Fall war. Andere, insbesondere junge Burschen, fügten sich zu Gruppen
zusammen und streiften nachts durch die stillen Dörfer, die nahen Wald- und
Feldwege, in der Erwartung, den Unheimlichen aufzuspüren und ihm das Handwerk
zu legen. Aber auch diese Unternehmen hatten noch keinen Erfolg gehabt. Michael
Thielen hatte sich erst vor wenigen Tagen an einem solchen nächtlichen
Suchspiel beteiligt... Er nahm sich vor, die Droge zu lassen, nicht mehr in den
Rausch zu verfallen, der sein vernünftiges Denken ausschaltete und ihn zur
Bestie
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