0530 - Der Magus von Zypern
nur Jane Collins entdeckten wir nicht.
»Ob sie überhaupt dort ist?« fragte Suko.
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht hält man sie in einem der Häuser versteckt.«
»Willst du hin?«
»Erst ist der Sarg an der Reihe.«
»Gut, dann laß uns fahren.«
Wir stiegen wieder ein und überließen Line Dorchester die Wahl, mitzufahren oder zu warten.
»Ich bin dabei!« erklärte er.
»Gut, aber Sie bleiben im Wagen!«
»Natürlich. Ich bin doch nicht verrückt und mache mich an fremden Särgen zu schaffen.«
Ich freute mich darüber, daß er seinen Humor noch nicht verloren hatte.
Gegen die Kletterei über den Steilhang war diese Fahrt nahezu eine Erholung.
Je näher wir dem Ziel kamen, um so mehr wuchs die Spannung.
Suko und ich waren voll konzentriert. Wir beide dachten darüber nach, was wohl geschehen würde, wenn wir den Sargdeckel öffneten. Konnte sich das Skelett bewegen? Würde es aus dem Sarg steigen?
»Wie weit soll ich noch fahren?« fragte Dorchester.
»Noch einige Yards.«
Nach etwa fünf Yards stoppten wir. Zwar lag der Sarg nicht zum Greifen nahe vor uns, aber bis zu ihm brauchten wir nur wenige Schritte zu laufen.
Als Line die Fahrertür öffnete, hörte er mein »Stopp!«
»Ach ja, ich soll bleiben.«
»So ist es.«
»Dann viel Glück.« Unser Landsmann grinste schief.
Wir verließen den Honda und hatten kaum unsere Füße auf den steinigen Boden gesetzt, als wir den Wind spürten, der scharf und auch kalt über die Höhen fuhr und in unsere Gesichter biß.
Von einem Augenblick zum anderen hatte sich das Wetter verschlechtert. Ein Blick in Richtung Sonne zeigte uns, daß der helle Ball nicht mehr zu sehen war. Dunkle Wolken waren aus dem Nichts erschienen und verdeckten ihn.
Suko schaute mich an. »Das ist nicht normal, John.«
»Meine ich auch.«
Staub wirbelte uns entgegen, als der Wind über das Plateau fuhr.
Das Wetter hatte umgeschlagen, wir spürten es bedrohlich und schauten uns zum Wagen hin um.
Auch Line blickte aus dem Fenster. »Ein Wettersturz!« rief er hinter uns her.
»Kommt das oft vor?«
»Manchmal, nur nie so schnell.«
»Danke.«
»John, dieser Wettersturz ist nicht auf eine normale Ursache zurückzuführen«, meinte Suko. »Da steckt etwas anderes dahinter. Das Skelett, Magie und…«
Er stand plötzlich starr.
Auch ich hatte das Knirschen und Reißen vernommen. Unter uns zitterte die Erde.
Dann hörten wir den Schrei!
Wir flogen herum.
Line Dorchester brüllte verzweifelt. Er hatte sich aus dem Wagen gebeugt und klammerte sich noch an der offenen Tür fest.
Springen konnte er nicht mehr, denn im selben Augenblick verschlang die Erde unseren Honda.
Und der Sargdeckel flog wie bei einer Explosion in die Höhe!
***
Warten, nichts als Warten!
Jane Collins war fast durchgedreht. Sie hockte in ihrer Steinhütte, konnte nicht mehr weinen und starrte gegen den Boden. Sie sah alles normal, doch wer in ihr Gesicht schaute, der erblickte einen widerlichen Knochenschädel.
Sie räusperte sich einige Male, spürte den Durst und marschierte entschlossen auf den Vorhang zu. Ihre Hand hatte sich bereits in das Sackleinen gekrallt, als ihr ein anderer Gedanke kam und sie die Finger wieder zurücknahm.
Nein, sie wollte sich nicht freiwillig zeigen. Der Magus sollte kommen und sie holen.
Jane wartete wieder.
Auf und ab lief sie. Vor der Hütte war es ziemlich ruhig. Manchmal sprach jemand lauter, dann hörte sie auch ein Hämmern, wenn jemand auf Metall schlug. Sogar die Essengerüche drangen in das kleine Haus. Die Männer bewegten sich, als wäre nichts geschehen.
Sie gingen ihrem normalen Tagesablauf nach.
Nerven haben die, dachte Jane. Oder auch ein tiefes Vertrauen in den Magus von Zypern.
Sie hatte kaum an ihn gedacht, als er von außen den Vorhang zur Seite zog und das Steinhaus betrat. Er nickte Jane Collins zu. »Es ist soweit, wir werden jetzt gehen.«
»Zu… zu …«
Der Magus ließ Jane nicht zu Ende sprechen. »Ja, wir nehmen den schmalen Pfad, der uns zum Sarg Selim Kales führt. Du hattest Zeit genug, dich auf die große Aufgabe vorzubereiten. Ich hoffe, daß du dich innerlich damit beschäftigt hast.«
»Natürlich«, erwiderte Jane.
»Dann komm mit.« Der Magus drehte sich zur Seite und hielt den Vorhang so weit offen, daß Jane durch die Lücke ins Freie treten konnte.
Sie kam sich dabei vor, als würde sie eine bestimmte, ihr mittlerweile vertraute Welt verlassen, um in eine andere hineinzugehen.
Die Welt ohne
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