0530 - Land der Amazonen
feststellen mußten, daß Merlin weder unfehlbar noch allmächtig war. Das Idol war vom Sockel gestürzt, und seither begegnete Zamorra Merlin, was dessen Fähigkeiten und Kraft anging, mit gesundem Mißtrauen. Das Silbermond-Fiasko hatte Spuren in Zamorra hinterlassen. Merlin war immer noch eine große Figur, nahm aber allmählich tragische Züge an.
Der weißgekleidete Zauberer streckte die Hand aus.
Vertrau ihm, er weiß, was er tut! Er ist Merlin! klang die lautlose Stimme des künstlichen Amulett-Bewußtseins in Zamorra auf.
Der Parapsychologe verdrehte die Augen. Diese Einmischung hatte ihm gerade noch gefehlt.
Aber vielleicht war es tatsächlich einen Versuch wert. Immerhin war Merlin der Schöpfer der Zauberscheibe.
»Wo wir gerade dabei sind«, sagte Zamorra und legte das Amulett in Merlins ausgestreckte Hand. »Wenn es sich noch öfters in den Kopf setzt, mir den Dienst zu verweigern, wie es letzthin für einen längeren Zeitraum geschah, kannst du es behalten. Das Haupt des Siebengestirns von Myrrianey-Llyrana nützt mir nichts, wenn ich mich nicht auf seine Unterstützung verlassen kann. Vielleicht solltest du der Blechscheibe mal ins Gewissen reden.«
»Reden?« Merlin hob erstaunt die Brauen. Plötzlich hob er das Amulett näher vor sein Gesicht, strich mit den Fingern über die Fläche. »Es ist anders«, sagte er. »Etwas ist mit ihm geschehen. Es geht einen Weg, den ich ihm nicht zeigte, als ich es aus der Kraft einer entarteten Sonne schuf.«
»Sag jetzt nicht, du weißt nicht, was für ein Potential darin steckt, und daß du nie vorgesehen hattest, daß es ein künstliches Bewußtsein entwickelt?« platzte Nicole heraus.
Merlin schüttelte den Kopf. »Davon… davon weiß ich nichts… ich…«
Er gab sich einen Ruck. »Vielleicht sollten wir das später erörtern, wenn wir mehr Zeit haben«, sagte er. »Nun zeige mir, wie du den Blick in die Vergangenheit ausgelöst hast, Zamorra. Dann werde ich versuchen, mehr zu erkennen, als du sehen konntest.«
»Viel Vergnügen«, erwiderte Zamorra trocken und weihte den Schöpfer des Amuletts in dessen Funktion ein…
***
Stygia beobachtete Asmodis, prüfte seine Reaktionen. Sie war zufrieden. Er wurde immer schwächer, so, wie sie es vorgesehen hatte. Allmählich konnte sie ihre Truppen aussenden, um ihn »einfangen« zu lassen - ihn, der immer noch nicht begriffen hatte, wo er sich wirklich befand. Die bevorstehende »Gefangennahme« diente nur der Verunsicherung und Einschüchterung. In Wirklichkeit war er ja längst ein Gefangener. Aber es würde ihn weiter demoralisieren, daß er selbst »normalmenschlichen«
Gegnern hilflos gegenüberstand.
Daß sie nicht menschlich waren, würde er nicht erkennen.
Nun, das war auch nicht nötig. Wichtig war nur, daß er hilflos war. So hilflos, daß ihn die Amazonen bezwingen konnten.
Falls ihn nicht ein weiteres Ungeheuer erwischte, ehe sie ihn fanden und gefangennahmen.
Das wäre dann allerdings Pech. Vielleicht, überlegte Stygia, sollte sie die Kraft und die Gefährlichkeit der Kreaturen etwas reduzieren, um sich nicht selbst um den Spaß zu bringen, ihn vor ihrem Thron wimmern zu sehen. Aber noch konnte sie sich nicht dazu durchringen. Sie gab ihre Befehle an die Amazonen, und sie beobachtete Asmodis weiter. Wenn es ihm zu früh wirklich an den Kragen ging, konnte sie immer noch eingreifen und ihn für weitere Demütigungen retten.
Alles wollte sie ihm heimzahlen.
Und ihn danach von eigener Hand töten… danach… als Höhepunkt und Abschluß ihrer Rache…
Und der abgeschlagene Kopf des Asmodis in ihrer Hand würde ihr in den Schwefelklüften hohes Ansehen bringen…
***
Merlin versenkte sich in die Bilder, die das Amulett auch ihm zeigte. Und er entdeckte tatsächlich etwas. Er entdeckte zwar keinen unmittelbaren Weg, aber er sah Strukturen. Er erkannte sie, und ihm wurde bewußt, daß etwas Ungeheuerliches geschehen sein mußte.
Daß Stygia dahintersteckte, war ihm schon vorher klar gewesen. Durch die überwachende Magie im Saal des Wissens in seiner unsichtbaren Burg hatte er einen Informationsvorsprung vor Zamorra, aber es gehörte zu seinem Wesen, die Quelle seines Wissens niemandem preiszugeben.
Nicht einmal einem Professor Zamorra! Deshalb hatte er es ihm nicht beweisen können. Aber er wußte es.
Und jetzt erkannte er auch den Weg, der dorthin führte, wohin Stygia Merlins dunklen Bruder entführt hatte. Es war ein Weg, vor dem Merlin erschrak.
Vielleicht gerade, weil er ihn
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