0534 - Die Hexen des Spuks
Schritt ging, schrak der Landwirt zusammen. Es sah so aus, als wollte sie über die Kühlerschnauze klettern, und von dort aus den gesamten Trecker zu ersteigen, doch kurz zuvor drehte sie ab, um die linke Seite des Traktors zu erreichen und damit auch das Führerhaus.
Dort blieb sie stehen.
Hein konnte nicht anders. Er hatte den Kopf gedreht und starrte in das Gesicht der unheimlichen Frau mit der gelblichweißen Haut.
Er konnte auch die Augen erkennen, die wie flache, starre Kieselsteine in den Höhlen lagen. Sie waren starr, von ihnen strömte kein Gefühl aus. Die blassen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und abermals spürte der Bauer den kalten Hauch des Grabes, der ihn streifte.
Was willst du von mir? Diese Worte hatte er ihr sagen wollen, nur brachte er sie einfach nicht über seine Lippen. Eine unsichtbare Schnur drückte ihm die Kehle zu.
Dafür reagierte die Frau.
Sie hob den rechten Arm leicht an, dann streckte sie ihn Hein Feddersen entgegen.
Dem blieb fast das Herz stehen. Auf seinen Handflächen hatte sich der Schweiß gebildet. Hein wollte vom Trecker springen, dessen Motor ebenfalls nicht mehr lief, so daß sich der Bauer vorkam, als würde er von der herrschenden Stille wie von einem Tuch umfangen werden.
Ihn traf der Blick ihrer Augen!
Es war ein besonderer Blick. Flach, nichtssagend und dennoch so kalt und hart.
Noch nie zuvor hatte er in ein ähnliches Augenpaar geschaut, das ihm Furcht einflößte und ihm gleichzeitig seinen eigenen Willen nahm. Das geschah in dem Augenblick, als sich der Ausdruck der Augen veränderte. Etwas schob sich von innen und auch von außen her in die Pupillen hinein und gab ihnen ein völlig anderes Aussehen.
Sie wurden dunkler, dann grau und schließlich pechschwarz. Ja, pechschwarze Pupille, aber so ungewöhnlich und anders, als hätte sie jemand mit Tinte ausgemalt.
Das war eine Schwärze, wie er sie noch nie gesehen hatte. Die Tiefe des Alls, lichtlos, ohne einen Funken Gefühl, aber gefährlich, denn dieser Ausdruck beeinträchtigte seinen Willen.
»Wer bist du?« Hein hörte die etwas stockend gesprochenen Worte und hörte sich selbst die Antwort geben:
»Hein Feddersen…«
»Ach so, du gehörst zu den Feddersens.«
»Ja…«
»Ich kenne deine Eltern.«
»Aber du bist tot, nicht?«
Sie lachte. Es war kein normales Lachen, mehr ein hohles Kichern, das Hein entgegenwehte und kalte Schauer über seinen starren Rücken trieb. »Sehen so Tote aus, die fünfzig Jahre in der kalten Erde gelegen haben?«
»Nein!«
»Also lebe ich. Die Liebe zu einem Großen hat dafür gesorgt, daß ich am Leben blieb. Ich lebe, du lebst, aber ich werde länger leben, denn in mir steckt der Geist des Meisters.«
Feddersen wußte nicht, von welchem Meister sie sprach. Es war ihm auch egal, er wollte nur dieser unheimlichen Lage entkommen, denn er spürte genau, daß diese Person eine Feindschaft ausstrahlte, der er nichts entgegenzusetzen hatte.
Fliehen, weg von dem Trecker. Zu Fuß ins Dorf laufen. Doch da war ihr Blick, der gefährliche Ausdruck ihrer pechschwarzen Totenaugen, die ihn nicht aus dem Blick ließen.
Sie waren grausam, sie waren wie Zangen, kalt, ohne Gefühl, und Hein spürte plötzlich die Berührung ihrer Finger an seinem linken Handgelenk, das frei lag, weil er die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt hatte.
Es war eine andere Welt, die ihn anfaßte.
Die Welt der Toten – so kalt, so unnatürlich eisig, als würde an der Stelle, wo er berührt wurde, das Blut einfrieren.
Eine lebende Tote faßte ihn an, und der Druck verstärkte sie. Die Finger umschlossen sein Gelenk. Hein spürte auch den Zug und verstand das Zeichen. Er sollte absteigen.
Noch saß er, aber die Untote ließ nicht los. »Nun komm schon«, flüsterte sie ihm zu. »Ich will, daß du zu mir kommst. Du bist der erste, mein Freund. Steig von deinem Trecker, denn auch du sollst die Kraft des Meisters kennenlernen, die Welt der völligen Schwärze, das Gebiet ohne Licht, über das der Spuk herrscht.«
Hein hörte die Worte, ohne sie begreifen zu können. Er wußte nur eines: Wenn er jetzt nichts tat, war er verloren, dann bekam die Frau Gewalt über ihn.
Da fiel ihm etwas ein. Er dachte plötzlich an seine Jugend zurück und an die Zeit der Pubertät, als ihn schwere Alpträume geplagt hatten. Er war nach und während dieser Träume oft schweißnaß erwacht und hatte sich damals stets daran erinnert, was ihm seine Mutter beigebracht hatte.
Wenn es dir einmal seelisch
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