0534 - Die Hexen des Spuks
auf der grauen Fahrbahn eine braune Schmutzspur. Vom nächsten Regen würde sie abgewaschen werden.
Den Wagen mit der Gülle hatte Hein auf dem Feld stehenlassen. Er wirkte auf dem flachen Gelände fast wie ein Kunstwerk.
Hein freute sich auf den Abend. Er würde noch lange vor dem Haus sitzen können. Dabei ein Pils schlürfen, das mit dem leicht bitteren Geschmack, das er so liebte und das in der Stadt Jever produziert wurde. Ein richtiger Durstlöscher.
Frauke, seine Frau, hatte ihm versprochen, zum Abendbrot eine weiße Bohnensuppe zu kochen. Sie gehörte zu Heins Lieblingsgerichten. Bei dem Gedanken daran leckte sich der blonde sehr kräftige Mann bereits die Lippen.
Rechts von ihm standen die hohen Pappeln, schlank und biegsam.
Ihre Äste bewegten sich zitternd, als würden sie frieren. Hein liebte die Bäume. Wie alles hier verkörperten sie für ihn ein Stück Heimat.
Schon als Junge war er in die Pappeln hineingeklettert, wenn die Kinder Verstecken spielten.
Er sah im Rückspiegel einen Wagen auftauchen. Dann hupte der Fahrer in dem weißen Mercedes. Es war ein Freund aus dem Dorf.
Fast schon ein Nachbar.
Hein winkte, als ihn der alte Daimler überholte, doch der Wagen blieb mit dem Trecker auf gleicher Höhe. Sein Fahrer beugte sich zur Seite.
Durch die geöffnete Seitenscheibe rief er Hein etwas zu.
»Kommst du heute abend in den ›Dorfkrug‹?«
»Nein.«
»Schade, ich wollte einen ausgeben.«
»Weshalb?«
Der Fahrer lachte. »Ich habe morgen Geburtstag. Da können wir hineinfeiern.«
»Ist nicht drin, Klaus. Ich muß morgen sehr früh aufs Feld.«
»Schade. Tschüß dann.«
»Ja, mach’s gut und viel Spaß.«
Der Diesel tuckerte davon. Hein mußte lächeln. Klaus gehörte zu den Leuten, die in der Stadt arbeiteten. Er besaß in Kiel eine Wohnung und kam nur hin und wieder zurück in den Ort. Beruflich hatte er mit Schiffen zu tun. Was er genau machte, wußte keiner.
Einer sagte, daß er Motorboote konstruieren würde, die anderen behaupteten, er wäre ein Makler mit nicht immer sauber geführten Geschäften.
Hein war es egal, was sein ehemaliger Kumpel machte und womit er sein Geld verdiente.
Der Mercedes war längst verschwunden, der Bauer befand sich wieder allein auf der Straße. Jetzt wuchsen auch an der rechten Seite die Pappeln hoch.
Sie schirmten die Strahlen der hellen Sonne etwas ab, die in den letzten Tagen sehr grell geschienen hatte.
Es war eine Fahrt, die etwas müde machte. Der Bauer kannte jeden Quadratzentimeter des Bodens. Er schaute nur auf die Fahrbahn, der graue Asphalt wurde für ihn zu einem Fluß, der ihn zum Ziel trug.
Da geschah es!
Hein hatte es nicht mitbekommen. Im nachhinein, als er seinen Fuß auf das Bremspedal setzte, fiel ihm ein, daß die Gestalt irgendwo in den Bäumen gelauert haben mußte.
Von dort aus war sie nach unten gesprungen, hockte auf der Fahrbahn und hatte keine Angst, von den breiten Reifen des Treckers überrollt zu werden.
Der Traktor stand!
Die Frauengestalt befand sich ungefähr noch einen Meter von den Vorderreifen entfernt, und sie hob jetzt den Kopf, um Hein anzuschauen. Der Bauer rührte sich nicht, durch seinen Kopf aber schossen zahlreiche Gedanken, und er erinnerte sich daran, was sich die Leute im Dorf alles über die zurückgekehrten Toten erzählt hatten.
Die Frauen hatten kurze Leichenhemden getragen. Ihre Haut war bleich gewesen, mit einem Stich ins Gelbliche. Halblange und dunkle Haare, starr die Gesichter, ebenso die Augen, in denen kein Leben mehr flackerte.
So sah diese Frau aus!
Obwohl ihm die Sonne in den Rücken schien, fror Hein Feddersen plötzlich. Er spürte den kalten Schauer, der ihn umklammert hielt, saß auf dem Sitz ohne sich zu rühren, und hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest, als wäre es seine letzte Stütze.
Die Frau tat nichts. Sie starrte nur zu ihm hoch, stützte sich ab, dann in die Höhe.
Eine fast schon sprunghafte Bewegung brachte sie auf die Beine.
Hein konnte sie nun besser erkennen.
Die Frau besaß einen gedrungenen Körper mit etwas kurzen Beinen, wobei die breiten Schenkel auffielen, um die der Stoff des Leichenhemdes flatterte.
Längst war er davon überzeugt, es mit einer der drei aus den Gräbern zurückgekehrten lebenden Toten zu tun zu haben, und er glaubte auch, die Eiseskälte zu spüren, die von der Gestalt ausging.
War das die Tote, die lebte?
Hein Feddersen konnte nur raten.
Jedenfalls sah sie so aus, und sie blieb auch nicht stehen. Als sie den ersten
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