054 - Die Gespenster-Dschunke von Shanghai
York war von der
veränderten Situation in Shanghai unterrichtet. Eine Stellungnahme von der
Zentrale und weitere Neuigkeiten lagen hierzu noch nicht vor. Das Boot war mit
zwei starken Dieselmotoren ausgerüstet, so daß sie schnell vorankamen. Je
weiter sie sich vom Festland entfernten, desto schlechter wurde das Wetter. Es
regnete heftig, und das Wasser trommelte an die Sichtscheibe. Die
Scheibenwischer waren kaum mehr in der Lage die vom Himmel
stürzende Wasserflut zu bewältigen. Eine knappe Stunde dauerte der heftige
Regen. Das Motorboot schaukelte im böigen Wind auf den schaumbedeckten Wellen.
Himmel und Meer blieben auch weiterhin eine einzige graue Masse, als der Regen
schwächer wurde und sanfter rieselte. Larry steuerte das Boot mit sicherer
Hand. Was er bedauerte, war die Tatsache, daß sein Wasserfahrzeug nicht mit
Radar ausgerüstet war. Dann wäre er bei den bestehenden
Schlechtwetterbedingungen noch schneller vorangekommen. Zwischendurch riß dann
die Wolkendecke einige Male auf, und sogar der Regen versiegte. Die Sicht wurde
klarer, und sie kamen mit dem Motorboot wieder rascher voran.
»Da
vorn!« Es war das erste Wort von Fungs Stellvertreter nach langem Schweigen.
»Der schwarze Punkt, Mister Brent… das ist die Felseninsel…« X-RAY-3 brauchte
den Kurs nicht mal zu korrigieren. Er hatte die Position genau eingehalten. Der
Wind hier draußen war stärker als in Küstennähe. Scharf und heftig pfiff er um
die zerklüfteten, kahlen Felsen, auf denen außer Moos nichts wuchs. Ein ödes
Eiland, das einen Durchmesser von höchstens hundertfünfzig Metern hatte. Der
schwarze Felsen war voller Risse und Spalten und wies Steine auf, die bis zu
fünfzig, sechzig Meter in den regnerischen Himmel ragten und steil und schroff
abfielen. Hier konnte niemand leben. »Ein hervorragendes Versteck«, meinte
Larry beim Näherkommen. Er umrundete die Felseninsel und spähte in die Buchten,
von denen es zahlreiche gab. Sie waren klein, lagen versteckt und waren
meistens erst bei aufmerksamem Hinschauen zu erkennen. »Von einer
Gespenster-Dschunke keine Spur«, meinte er. Er mußte es laut sagen, sonst konnte
bei dem heulenden Wind sein unmittelbarer Nachbar ihn kaum verstehen. Die
Männer trugen wetterfeste, regenabweisende Kleidung. Larry Brent drückte den
breitkrempigen Gummi-Hut tiefer in die Stirn. »Man sagt, daß die Dschunke ein
Versteck im Felsen hätte«, brüllte Fungs Stellvertreter. Der untersetzte
Chinese mit den leicht abstehenden Ohren wischte sich das Regen- und
Spritzwasser vom Gesicht. »Angeblich soll es einen Zugang geben, in den die
Dschunke immer dann verschwand, wenn sie verfolgt wurde.«
»Dann
suchen wir diesen Zugang.«
»Wahrscheinlich
gibt es ihn überhaupt nicht. Es wird nur erzählt, verstehen Sie, Mister Brent?
Keiner hat diesen Zugang je gesehen. Er soll angeblich nur bei Ebbe auftauchen,
wenn das Wasser sich zurückzieht und die Felseninsel noch mehr freigelegt wird.
Wenn Sie mich fragen, ich halte das alles für ein Schauermärchen, für
ausgemachten Unsinn.«
»Und
wie erklären Sie sich die Veränderung des Kommissars und des Mannes im
Leichenhaus?«
»Ich
hoffe noch immer, daß es eine natürliche Erklärung dafür gibt, auch wenn ich
sie mir offen gestanden nicht vorstellen kann«, antwortete der Mann ehrlich.
»Es sind während der letzten achtundvierzig Stunden zu viele merkwürdige Dinge
geschehen«, erwiderte Larry Brent, »als daß ich sie noch als natürlich
bezeichnen könnte. Wenn wir es mit einigen Bösewichtern aus Fleisch und Blut zu
tun haben, werden uns Ihre Leute bestimmt gute Dienste leisten können. Im
anderen Fall, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Und das dürfte nicht
leicht sein. Wir legen an. Ich werde mir die Insel aus der Nähe ansehen. Vor
allem interessieren mich die schmalen, engen Schluchten und Ritzen. Vielleicht
gibt es in den Buchten auch einige Ecken und Winkel, die dem Schiff als
Unterschlupf dienen und die wir von hier außen nur nicht sehen können.«
»Ich
komme selbstverständlich mit«, sagte der chinesische Polizist. »Es wird unter
Umständen sehr gefährlich sein.«
»Um
so wichtiger für Sie, jemand dabei zu haben.«
»Da
haben Sie auch wieder recht. Danke.« X-RAY-3 nahm seine Smith & Wesson
Laser- Waffe aus der Schulterhalfter und entsicherte sie. Zwei Polizisten
erhielten den Auftrag, das Boot zu bewachen und die Umgebung im Auge zu
behalten. Ein bewaffneter Polizist schloß sich noch Brent und
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