054 - Die Gespenster-Dschunke von Shanghai
hatte schon viel
Ungewöhnliches gesehen. So schnell schreckte ihn nichts. Dennoch beschlich ihn
leichtes Unbehagen, als er den Mann vor sich liegen sah. Der langgestreckte
Kopf war kahl, knöchern und völlig fleischlos. Im ersten Moment mußte man ihn
für eine Maske halten. Aber dann sah man in Höhe des Nackens und oberhalb der
Schlüsselbein-Knochen, wie die wächserne Haut streifenförmig mit dem kahlen
Gebein des Drachenschädels verwuchs. X-RAY-3 stülpte Plastikhandschuhe über,
tastete den Kopf ab und versuchte unwillkürlich doch, ihn vom Hals zu ziehen.
Er bekam wenig später eine Abschrift des Untersuchungsergebnisses in englischer
Sprache. Daraus gingen Lebensdaten des Toten hervor, der mit seinem Ausweis
gefunden worden war. Das Paßbild darin zeigte einen Menschen und keinen Drachenkopf. Anhand der Fingerabdrücke und eines Gebißvergleiches stand inzwischen
jedoch zweifelsfrei fest, daß dieser Mann identisch mit dem Ausweis-Inhaber
war, auch wenn er keine Ähnlichkeit mehr mit ihm hatte. Der Mann hieß Fo Khuong
und war in Polizeikreisen als Opiumraucher und Heroinsüchtiger bekannt. Das
rattenverseuchte Hafengebiet von Shanghai war sein Bezirk. Dort trieb er
allerlei undurchsichtige Geschäfte, und die Polizei hatte ihn sogar eine
bestimmte Zeit in Verdacht, daß er sich an Diebstahl und Schmuggel beteiligte
und auch mit Piraten gemeinsame Sache machte, um an den Stoff heranzukommen.
Nun hatte man Khuong gefunden, auf eine höchst merkwürdige Art. Die Furcht, die
Larry Brent bei seinem Gesprächspartner feststellen konnte, ging offensichtlich
in die Richtung, daß jemand wieder unheimliche Experimente durchführte. Aber
daran wollte Larry Brent nicht so recht glauben…
Mit
dem Mann war etwas geschehen!
Er
versuchte das rätselhafte Ereignis in größerem Rahmen zu sehen. Da war zunächst
das Auftauchen der Gespenster-Dschunke, die lange Zeit als eine unheimliche
Legende galt und urplötzlich durch mysteriöse Vorkommnisse unerwartet in den
Mittelpunkt sogar des Interesses der PSA gerückt war. Lag hier in Shanghai, dem
Ausgangspunkt der Gespenster- Dschunke der Schlüssel auch zu anderen
Ereignissen? Er mußte sofort an Keiko Yamada alias X-GIRL-I und deren Auftrag
denken. Vor einiger Zeit hatte es in Tokio in Verbindung mit der Einnahme von
Rauschgift in einem bekanntgewordenen Fall Halluzinationen über die Drachenmänner gegeben. Diesem Ereignis war nachgespürt worden, doch bis zur Stunde lagen
noch keine brauchbaren Ergebnisse vor. Das Gehirn des Agenten arbeitete mit der
Präzision eines Computers. »Der Mann ist als süchtig bekannt«, murmelte er, sah
sich die Leiche ein letztes Mal an und fragte sich, wie der kahle
Drachenschädel anstelle eines normalen Menschenkopfes zustande gekommen sein
könnte. Lag Magie im Spiel? Eine unheimliche Substanz, die das Gewebe gezielt
und blitzschnell verändert? »Sind die Plätze bekannt, woher er das Gift bezog?«
»Meist
hielt er sich in einer Opiumhöhle unten im Hafen auf«, erfuhr er. X-RAY-3 ließ
sich den Namen geben und notierte ihn sich. Darum wollte er sich später
kümmern. »Jetzt habe ich noch etwas auf dem Herzen«, sprach er
Polizei-Kommissar Fungs Vertreter an.
»Womit
kann ich Ihnen einen Gefallen tun?«
»Ich
möchte gern an die Stelle gebracht werden, wo gestern abend von mehreren Zeugen
übereinstimmend die Gespenster-Dschunke gesehen wurde.«
»Wir
haben das ganze Gebiet durchkämmt, und nichts Auffälliges entdeckt«, erwiderte
der andere. »Vielleicht haben sich die Leute interessant machen wollen und die
Phantasie ist mit ihnen durchgegangen. Sie wissen ja, wie das ist.«
»Ja,
ich weiß wie das ist… Trotzdem! Am Abend wird die Dschunke mit den Drachenmännern gesehen, und in der gleichen Nacht wird aus einem Menschen ein solcher Drachenmann… Vielleicht ist alles nur ein Zufall… Aber selbst wenn – nichts geschieht ohne
Grund. Und meine Aufgabe ist es, den Grund ausfindig zu machen. Es gibt, soviel
mir durch die Legende bekannt ist, vor der Küste eine kleine Insel, felsig,
rauh und unbewohnt.« Der Chinese nickte. »Das war angeblich mal der Stützpunkt
der Piraten, die Shanghai und die Küstengewässer unsicher machten.«
»Diese
Insel will ich mir zuerst ansehen, solange es noch hell ist. Die Opiumhöhle
nehme ich mir dann bei einem nächtlichen Spaziergang durch den Hafen vor. Falls
bis dahin Polizei- Kommissar Fung noch immer nicht zurück sein sollte, wäre ich
Ihnen dankbar, wenn Sie mich begleiten
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