054 - Josephas Henker
Souza von der Mannschaft gemieden wie Aussätzige. Alle waren froh, als sie in Cadiz von Bord gingen. Der schwarze Albatros aber stieg steil in den Himmel, den dunkle, schweflige Gewitterwolken bedeckten.
Nun war es Warringer doch unheimlich. Die Urwaldhexe Gavra, jener unheimliche einbeinige Matrose, der schwarze Albatros mit den glühenden Augen … Er beschloß, den Schatz fahren zu lassen. Keine Macht der Welt sollte ihn an jenen Ort bringen, an dem der Schatz verborgen war.
Diesen Entschluß faßte Warringer, während er durch Cadiz streifte. Hinterher war ihm viel wohler. Mit der Zeit würde Esther Souza schon lernen, ihn zu mögen, oder sich doch wenigstens an ihn zu gewöhnen.
Als Warringer in die Herberge zurückkehrte, hatte Esther Souza ihn verlassen.
„Sie war außer sich vor Zorn“, erzählte ihm der Wirt, den er nach ihr fragte, „sie hat Sie beschimpft und verflucht, Senor, wie ich noch nie habe eine Frau einen Mann beschimpfen und verfluchen hören.“
Doch es kam noch schlimmer. Kaum war Warringer in dem Zimmer, das er zusammen mit Esther bewohnt hatte, da schoß ein glühender Schmerz durch sein Bein. Stöhnend sank er auf das Bett. Er biß in die Kissen, um nicht schreien zu müssen.
Es wühlte, stach und bohrte in seinen Armen und Beinen, in seinem Leib, bis er zu sterben glaubte. Zeitweise war er bewußtlos vor Schmerz. Dann sah er in seinen schmerzzerquälten Alpträumen die alte Gavra, wie sie kichernd die Nadel in Arme, Beine und Leib der Puppe stieß, wieder und wieder.
Warringer konnte die Qual nicht mehr ertragen.
„Ich will den Schatz bergen“, schrie er. „Ich will es tun, wenn nur diese schrecklichen Schmerzen aufhören.“
Der Schmerz ließ nach. Schweißüberströmt lag Warringer auf dem Lager. Zwei Stunden später kam Esther Souza zurück, bleich und schön wie immer. Während ihr heißer Mund ihn küßte, waren ihre dunklen Augen voller Haß.
Warringer und Esther Souza reisten durch Spanien und Frankreich nach Deutschland. Sie überschritten den Rhein und kamen über Stuttgart nach Nürnberg. Der Schatz, den Warringer jetzt nicht mehr ersehnte, sondern fürchtete, war auf einer Waldwiese in der Nähe eines kleinen Ortes bei Nürnberg vergraben. Am Fuße einer abgestorbenen Eiche neben einem Findlingsstein aus uralter Zeit.
Der Ort war klein, die Gassen eng und verwinkelt. Warringer und Esther Souza erreichten ihn spät abends. Nach langem Umherirren in den Straßen und Gassen, die alle gleich aussahen, fanden sie einen Gasthof. Ein schmiedeeisernes Schild über der Tür knarrte im Wind. , Zur letzten Einkehr’ stand darauf.
Grauen erfaßte Warringer. Die Menschen in der Gaststube musterten ihn und Esther Souza. Sie tuschelten miteinander. Warringer hörte seinen Namen und das Wort ‚Henker’.
Eine schöne, rothaarige junge Frau saß abseits von den andern in der Gaststube. Sie trug eine tief ausgeschnittene Bluse und einen scharlachroten Rock. Sie lachte Warringer an. Es war ihm, als kenne er sie schon lange.
Warringer und Esther Souza gingen ins dunkle Speisezimmer. Esther hatte wenig Appetit. Warringer ließ sich immer wieder Wein bringen. Er trank, um das Grauen zu betäuben, doch der Wein konnte seinen Geist nicht benebeln. An diesem Abend nicht.
Esther mußte ihn stützen, als sie hinaufgingen in ihr Zimmer. Warringer war bleich und in Schweiß gebadet. Er wünschte sich, auf seiner Faktorei in Afrika zu sein, irgendwo. Er wünschte sich, er hätte Esther Souza nie gesehen, sich nie mit der Urwaldhexe Gavra eingelassen.
Der finstere, wilde, leidenschaftliche Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst. Esther Souza betrachtete ihn triumphierend. Während sie sich an ihn schmiegte und ihre Finger an seinen Kleidern zerrten, flüsterte sie: „Ich sehe, daß du am Ende deines Weges angekommen bist, Warringer. Jeden Tag, jede Stunde habe ich dich verflucht. Wenn der Himmel oder die Hölle einen meiner Flüche gehört haben, wirst du in der tiefsten Hölle brennen für das, was du mir angetan hast.“
Warringer stieß sie von sich.
„Ich gebe dich frei“, schrie er. „Du kannst gehen, kannst tun und lassen, was du willst. Ich will den Pakt rückgängig machen, den ich mit der Urwaldhexe schloß. Ich will dich nicht mehr, will den Schatz nicht mehr.“
Er hörte draußen in der Dunkelheit ein schreckliches Lachen. Ein Schatten glitt am Fenster vorbei, verdeckte den Vollmond und die Sterne. Es klopfte an der Tür. Esther Souza öffnete.
Die
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