054 - Josephas Henker
ihm an den Tisch, bestellte eine Flasche Rum. Der Alte nahm einen tiefen Zug. Er schimpfte über den Kapitän des Holländers, über die Mannschaft, über das Leben auf See und Gott und die Welt.
„Dabei brauchte ich in meinen Jahren gar nicht mehr hinauszufahren“, sagte er vertraulich zu Warringer. „Ich habe nämlich den Plan eines Schatzes, der mich zu einem der reichsten Männer der Welt machen würde.“
„Weshalb birgst du dann diesen Schatz nicht?“ fragte Warringer betont gleichgültig.
„Das ist so eine Sache“, sagte der Alte, „es ist nicht ganz geheuer. Der, von dem ich den Schatzplan kaufte, hatte seine Seele dem Teufel verschrieben. Eines Nachts verschwand er spurlos von Bord. Der Wachhabende erzählte, er sei mit dem Ruf: ‚Da bin ich, Meister!’ über die Reling in den nächtlichen Ozean gesprungen. Das Wasser habe geleuchtet, als glühe ein Feuer im Meer. Und der Wachhabende sah einen schwarzen Albatros aus dem Wasser aufsteigen und krächzend um das Schiff herumfliegen.“
Solche Geschichten konnten einen Mann wie Warringer nicht erschrecken. Er glaubte nicht an Gott, schon gar nicht an den Teufel.
Er wartete, bis der Einbeinige die Rumflasche fast geleert hatte. Warringer selbst hielt sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit beim Zechen zurück. Bevor die zweite Flasche Rum geleert war, brachte er das Gespräch wieder auf den Schatzplan. Er sagte, wenn der Alte den Schatz nicht bergen wolle, dann könne er doch ihm, Warringer, den Plan verkaufen. Der Einbeinige überlegte nicht lange. Für hundert Dublonen wurden sie handelseinig.
Warringer erhielt eine alte Pergamenturkunde.
„Sei auf der Hut, daß du für diesen Schatz nicht einen hohen Preis bezahlen mußt – den deiner ewigen Seligkeit“, sagte der Alte zum Abschied.
Eine Woche später war Warringer abends in der weißen Villa des Statthalters. Er sah Esther Souza nur einmal von fern. Der prächtig gekleidete Rodrigo de Caboza warf ihm einen bösen Blick zu. Don Esteban Diego Souza hatte Kaufleute, Plantagenbesitzer und Faktoreiverwalter an diesem Abend in seine Villa eingeladen.
„Ich möchte die Verlobung meiner Tochter Esther mit Don Rodrigo de Caboza verkünden“, rief er vor dem Mahl.
Die Gäste beglückwünschten das junge Paar. Auch Warringer. Dann begab er sich zu Tisch.
Nach dem Essen wurde im großen Saal im Erdgeschoß der Villa getanzt. Auch Warringer tanzte einmal mit Esther. Sie war mit ihren Gedanken ganz woanders, denn ihre ehrgeizigen Pläne hatten sich erfüllt. Sie kümmerte sich gar nicht um Warringer, schien den wenige Wochen zurückliegenden Abend längst vergessen zu haben.
„Würden Sie mir ein Glas Wein holen, Senor Warringer?“ sagte Esther Souza nach dem Tanz. „Ich habe Durst.“
Warringer ging in den Raum nebenan. Ein livrierter Negerlakai schenkte ihm aus einer alten, verstaubten Flasche, die in Don Estebans Keller jahrelang für eine besondere Gelegenheit gelagert worden war, zwei Gläser Wein ein. Warringer dachte an das Fläschchen in seiner Tasche. Er zögerte. Er stellte die Weingläser ab, stürzte einen Becher Rum hinunter. Einen zweiten. Dann ging er.
Vor dem Salon träufelte er einige Tropfen aus dem kleinen Fläschchen in Esther Souzas Glas. Dann brachte er es ihr. „Ich trinke auf Euer Wohl, Esther“, sagte er. „Und auf Euer Glück.“
Der Abend verging ohne besondere Ereignisse. Nach Mitternacht ging Warringer in seine Kammer. Er konnte nicht mehr bei der ausgelassenen Festrunde sein, konnte nicht mehr sehen, wie Esther Souza und Rodrigo de Caboza sich im Tanze drehten. Sie waren ein schönes Paar. Groß und dunkel beide. Und jung, strahlend jung. Ein langes, glückliches Leben lag vor ihnen.
Warringer saß in der Kammer im Dienstbotentrakt der Villa, während im hell erleuchteten Salon die Musik erklang. Er trank. Doch der viele Rum konnte die schmerzende Klarheit seiner Gedanken nicht vernebeln.
„Jetzt wird sich zeigen, ob du wirklich eine Hexe bist, Gavra“, murmelte er. „Oder ob deine Magie und deine Zaubersprüche nur Mummenschanz und Betrug sind.“
Es klopfte an die Tür. Auf Warringers ‚Herein’ trat Esther Souza ein. Ihr Gesicht war bleich, ihre Pupillen unnatürlich geweitet. Langsam kam sie auf den am Tisch sitzenden Mann zu.
„Warringer“, sagte sie leise und klagend.
Er sprang auf. Flasche und Glas stürzten um. Esther Souza trug ein tiefausgeschnittenes, rotes Samtkleid. Warringer küßte ihren Mund, ihren Hals und ihre
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