054 - Josephas Henker
fiel noch silbrig durch das Fenster.
Die Rothaarige stand in der Tür. Sie winkte dem Lieutenant, ihr zu folgen. Willenlos kleidete er sich an, ging hinter ihr her.
Als Paul Warringer diesmal erwachte, saß Josepha neben ihm auf dem Bett. Paul war völlig angezogen, Josepha ebenfalls, mit dem scharlachroten Rock und der weißen Bluse. Langsam, mühsam setzte Paul sich auf.
„Diese Träume, diese unheimlichen, realistischen Träume“, sagte er mit schwerer Zunge. „Mein Kopf ist so schwer. Ich bin zum Sterben matt. Vieles verstehe ich, doch einiges ist mir noch rätselhaft.“
„Du wirst bald alles verstehen“, sagte Josepha. „Du bist in meiner Gewalt, mein Liebling. Bald wirst du wissen, welches Schicksal diese Männer aus der Sippe des Henkers Albert Warringer ereilte. Ich habe dir gezeigt, auf welch verschlungenen Wegen einige von ihnen zu mir fanden, so wie du zu mir gefunden hast.“
Im Schein der Lampe sah Paul einen dünnen roten Streifen um Josephas Hals, wie eine alte Narbe. Entsetzen erfaßte ihn. Die Hinrichtungsszene fiel ihm wieder ein, wie der Henker den abgeschlagenen Kopf der Hexe in der Hand gehalten hatte. Er berührte die Narbe vorsichtig mit den Fingerspitzen.
Josepha sprang auf.
„Laß das“, sagte sie schroff. „Genügt es dir nicht …“ Sie brach ab. „Komm“, rief sie dann herrisch. „Wir müssen uns beeilen.“
Willenlos, wie ein Automat, folgte Paul Josepha. Im Flur wartete die schöne Fremde auf sie. Zu dritt verließen sie das Haus. Der Vollmond schien silbrig vom Himmel. In seinem Licht verschwammen die Konturen der Häuser. Josepha, Paul und die schöne, dunkelhaarige Frau gingen durch den verlassenen Ort zum Wald. Paul fühlte sich wie ausgebrannt. Mechanisch setzte er Schritt vor Schritt.
Immer mehr Frauen stießen zu ihnen. Junge und alte, hübsche und häßliche. Die schweigende Prozession tauchte in dem dunklen Wald unter. Wie ein bleicher Totenschädel stand der Vollmond am Himmel. Ein Käuzchen schrie. Paul überlief ein kalter Schauer.
Dann erreichten sie die Waldwiese. Paul sah die abgestorbene Eiche, den Hexenring aus gelben Giftblumen, den massigen, schwarzen Block des Findlingssteins. Eine Gruppe von Frauen wartete auf der Waldwiese.
„Sie haben ihn, sie haben ihn“, schrien sie, als sie Paul sahen.
Sie umarmten stürmisch die Frauen, die Paul hergeführt hatten. Josepha war nirgends zu sehen. Paul stand teilnahmslos da, mit hängenden Armen. Einige der Frauen betasteten ihn kichernd, seine Kleider, seine Haare. Er wehrte sie nicht ab.
Die Frauen formierten sich zu einem Reigen. Paul stand in der Mitte. Plötzlich erklang von irgendwoher eine Melodie. Fremdartig, fern, doch von einer starken, magischen Macht. Die Frauen tanzten, feierlich und gemessen erst, dann immer wilder und hektischer. Kreischend wirbelten sie um Paul herum. Ab und zu löste sich eine aus dem tollen Reigen, tänzelte zu Paul hin, gab ihm einen Stoß oder tanzte ein paar Schritte mit ihm, lachend und ausgelassen.
Da ertönte ein Gong. Die Tanzenden wichen zurück, machten einer verschleierten Gestalt Platz. Langsam näherte sie sich Paul. Zwei Schritte vor ihm blieb sie stehen. Totenstille herrschte. Der Schleier fiel.
Es war Josepha. Sie musterte Paul drohend und herausfordernd.
„Mein Liebling“, sagte sie voller Hohn und Spott. „Mein Engel. Du glaubst, ich hätte dir längst verziehen, nicht wahr? Aber du irrst dich.“
Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Hasses. Die grünen Augen glühten. Plötzlich lachte sie, schrill und gellend.
„Ich will dich belohnen für deine Liebe, so wie du es verdienst.“
Sie hob den Arm. Sofort setzte wieder Musik ein, ein ohrenbetäubendes, teuflisches, kreischendes Höllenkonzert. Wieder begann jener wilde, wahnsinnige Reigen. Immer enger zogen die Frauen ihre Kreise um Paul.
„Du bist gefangen“, jubelte Josepha. „Entkommen kannst du nicht. Jetzt kommt die Stunde meiner Rache. Es war sehr schwer, dich hierherzulocken. Dich und die Frau, die mir durch eine Laune der Natur oder eine Fügung des Schicksals ähnlich sieht wie eine Zwillingsschwester.“
Paul erkannte nun die Wahrheit. Diese Frau, die rothaarige Hexe, war nicht seine Josepha. Es war eine dämonische Kreatur, ein teuflisches Wesen mit schrecklicher Macht.
„Wo ist Josepha?“ fragte Paul. „Meine Frau, die sogar den gleichen Namen trägt wie du?“
„Ganz in der Nähe“, antwortete die Hexe. „Ich werde ihr Blut trinken, wie ich das
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