054 - Josephas Henker
rothaarige junge Frau stand draußen. Sie kam ins Zimmer, beugte sich über den angekleidet auf dem Bett liegenden Warringer. Ihre grünen Augen funkelten.
„Komm, mein Geliebter“, sagte sie, „ich habe lange auf dich warten müssen. Du hast dich verändert, bist ein böser, schrecklicher Mensch. Aber mich kümmert das nicht. Deine Seele gehört einem, der mächtiger ist als ich. Doch komm, genug geredet. Es ist unsere letzte Nacht.“
Sie führte den willenlosen Warringer ins Nebenzimmer. Dort fiel sie über ihn her, wild und schamlos. Erst gegen Morgen ließ sie von ihm ab. Völlig erschöpft und ausgelaugt schlief er ein.
Den ganzen Tag lag Warringer in einem Dämmerschlaf. Esther Souza sah ein paarmal nach ihm. Er schickte sie weg. Am Abend aß er ein paar Bissen, setzte sich dann in eine Ecke der Gaststube und trank.
Allmählich leerte sich das Gasthaus. Gegen Mitternacht waren Warringer, Esther Souza und der Wirt allein. Die Turmuhr schlug zwölfmal. Die Tür der Gaststube sprang krachend auf. Die Rothaarige trat ein.
„Komm, mein Geliebter“, sagte sie. „Es ist Zeit, zum Versteck des Schatzes zu gehen.“
Sie lachte höhnisch. Warringer erhob sich, bleich und zitternd. Er war so nüchtern, als hätte er keinen Tropfen getrunken. Willenlos tappte er hinter der Rothaarigen her.
Draußen warteten mehrere Frauen auf ihn. Junge Schönheiten und alte Megären. Eine gab ihm einen Spaten und eine Laterne.
„Wir werden dich alle auf der Schatzsuche begleiten“, sagte sie. „Komm, es ist Zeit, Warringer.“
Sie gingen durch den verlassenen Ort, einen dunklen Pfad entlang. Dann erreichten sie die im hellen Mondlicht daliegende Waldwiese. Warringer sah die abgestorbene Eiche, den Findlingsblock, einen Ring von gelben Blumen. Die Frauen führten ihn zu der Eiche, bildeten einen Kreis um ihn.
„Grab!“ befahl die Rothaarige.
Warringer stieß den Spaten in die Erde. Bald schon prallte er auf etwas Hartes. Er wühlte es aus der Erde. Es war ein Totenschädel. Die Frauen kicherten. Irgendwo im Wald schrie ein Käuzchen.
„Grab“, forderte die Rote wieder.
Warringer mußte ihrem Befehl gehorchen. Er grub Knochen aus, Skeletteile und drei weitere Totenschädel.
„Nun, wie gefällt dir dein Schatz?“ fragte die Rothaarige. „Du brauchst dich vor den Totenköpfen nicht zu fürchten. Sie alle gehören Männern, die einmal Warringer hießen wie du. Du wirst doch vor deiner Verwandtschaft keine Angst haben.“
Warringer hörte einen Schrei hoch oben in der Luft. Ein Schatten kreiste über ihm, verdeckte den Mond. Er sah sich im Kreis der Frauen um, die um ihn herumstanden. In einer erkannte er die alte Gavra, die Urwaldhexe, mit der er den Pakt geschlossen hatte.
„Hast du wirklich geglaubt, du bekämst einen Schatz geschenkt, Dummkopf?“ fragte sie höhnisch.
Der Schatten senkte sich aus der Luft. Ein großer, schwarzer Albatros mit glühenden Augen ließ sich auf dem Findlingsblock nieder. Er sprach mit einer Menschenstimme, mit der Stimme des einbeinigen Matrosen, von dem Warringer den Schatzplan gekauft hatte.
„Sein Körper gehört euch“, sagte der schwarze Albatros, „aber seine Seele – seine Seele gehört mir.“
Warringer, gelähmt vor Entsetzen, blickte in die glühenden Augen und erkannte, mit wem er sich eingelassen hatte. Die Hexen kamen langsam auf ihn zu.
Paul Warringer erwachte. Er setzte sich auf. In seiner Jackentasche fand er das Gasfeuerzeug, entzündete die altmodische Lampe. In ihrem Schein sah er, daß er sich in einem völlig fremden Raum befand. Hier war er noch nie gewesen.
Eine kleine Hütte, altertümlich eingerichtet. Ein Spinnrad in der Ecke. Die Möbel alle mit Spinnweben verhangen und staubbedeckt. In einer solchen Hütte mußte jene Josepha gelebt haben, die 1623 von Pauls Vorfahr enthauptet worden war.
Eine tiefe Traurigkeit überkam Paul. Noch verstand er nicht alles. Josepha, seine Josepha, war sie eine Hexe? War ihre ganze Bekanntschaft, ihre Liebe, ihre Ehe nur zu dem Zweck aufgebaut, ihn hierher zu locken und zu vernichten? Paul fühlte sich zum Sterben matt. Seine Glieder waren bleischwer.
Er fuhr über seinen Hals, fand zwei weitere kleine Wunden dicht neben den ersten beiden. Die Tür öffnete sich. Josepha trat ein. Sie trug den roten Rock und die tief ausgeschnittene, weiße Bluse. Ihre grünen Augen funkelten Paul an.
„Noch haben wir etwas Zeit“, sagte Josepha. „Schlaf noch ein paar Minuten, mein Geliebter, und träume.
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