0540 - Der Fluch der Zigeunerin
schützten, einer besaß nur noch drei Finger an der rechten Hand.
Doch nun war es vorbei, und in die Gegend um Falkensteyn würden sie sicher nie wieder zurückkehren. Vielleicht ihre Kindeskinder einmal… Aber dann lebten auch die nicht mehr, die jetzt zornig tobten und in der Wirtsstube die Zigeuner verfluchten.
Zwei junge Männer waren gestorben für den einen Mädchenschänder, und die alte Blixbah behauptete, die Schande sei gerächt?
Sie konnte nie gesühnt werden. Romano hatte seine Tochter Zyta geliebt! Und doch hatte er sie verstoßen müssen. Und solange das Blut zweier junger Männer zum Himmel weinte, konnte er sie nicht wieder aufnehmen. Sie war tot, obgleich sie lebte!
Und vielleicht war es besser, wenn sie in dieser Nacht starb - und das unselige Kînd mit ihr.
***
Romano verließ den Karren der alten Blixbah wieder. Er verschwand in der Dunkelheit. Niemand sollte sehen, daß er weinte!
Er weinte um sein Kind, um alles, was geschehen war.
Und um sich selbst.
Er war an jenem verhängnisvollen Morgen ein anderer geworden. Er war nicht mehr der Romano von einst. Sein Herz war Stein geworden.
Aber auch manche Steine können weinen. Sie tun es nach innen.
Da trat ein dunkelgekleideter Mann auf ihn zu. Ein Mann, den er nie zuvor gesehen hatte.
Er führte ein Pferd hinter sich am Zügel, einen Rappen mit Augen, die wie Kohle glühten, und mit Sattelzeug, das mit Steinen besetzt war, die in der Dunkelheit leuchteten. Der Geruch des Todes ging von dem großen Fremden aus. Trotz der Mondfinsternis sah Romano im schwachen, flackernden Schein des Lagerfeuers, daß das Wams des Fremden mit Goldfäden durchwirkt war, und sein schwarzer Mantel, der im Wind wie ein Banner hinter seinem Rücken wehte, war mit blutrotem Futter ausgeschlagen.
Niemand hatte seine Annäherung verkündet. Die Wachen mußten ihn übersehen haben.
Nun, wenn er sich ordentlich verhielt, sollte ihm ein Platz am Feuer nicht verwehrt bleiben. Er mochte auch einen Kartoffelschnaps zum Aufwärmen bekommen und einen Batzen Fleisch vom gestern geschlachteten Schaf. Niemand sollte sagen, die manusch seien nicht gastfreundlich zu Fremden, die in der Nacht ihr Lager erreichten.
Und vielleicht konnte man ihn auch zu einem Tauschhandel überreden. Die rom-Sippen waren dafür bekannt, daß sie sich mit Pferden auskannten. Und dieses schwarze Roß begeisterte Romano; er hätte stockblind wie ein volltrunkener Maulwurf in der Neumondnacht sein müssen, um nicht zu sehen, welch edles, kraftstrotzendes Tier er da vor sich hatte. Für solch ein Pferd zahlte mancher närrische Edelmann ein kleines Vermögen.
Aber dieser Fremde war dem Sippenführer unheimlich.
Gerade wollte er das Wort an ihn richten, als der Fremde ihm zuvorkam. Er sprach ein sauberes, akzentfreies romani , obgleich er seinem Aussehen nach nicht als rom geboren war.
»Mein Fürst«, und es klang ehrlich und nicht spöttisch, »Ihr seid der Vater der Frau, die in dieser Nacht ein Kind gebiert?«
»Woher wißt Ihr davon?«
»Es gibt wenig unter diesem funkelnden Sternenzelt, von dem ich nicht weiß.« Diesmal war es beißender Spott, zumal er zum verhangenen Himmel hinauf deutete, den die Mondfinsternis erst recht schwärzte wie Hände und Gesicht eines Schlotkehrers.
»Dann wißt Ihr auch, Fremder, daß ich nicht ihr Vater sein kann.«
»Euer Urenkel, mein Fürst«, sagte der Fremde, »wird länger leben als jeder Mensch, den ich kenne. Und er wird Dinge sehen, die niemand außer ihm sehen kann.«
Der Sippenführer stutzte. Wieso sprach der Fremde von einem Urenkel, nicht von Sohn oder Tochter? Und außerdem… irgendwie kamen ihm die Worte bekannt vor.
Plötzlich wußte er es wieder. Er hatte es mit halben Ohr gehört. Die alte Blixbah hatte an dem Tag, der jenem verhängnisvollen Morgen vorausging, genau so zu dem Mädchenschänder gesprochen, mit haargenau diesen Worten. Nur hatte sie den Mädchenschänder natürlich nicht als Fürst angesprochen und nicht Urenkel, sondern Enkel gesagt.
»Soll das heißen, daß…?« stieß Romano hervor.
Aber er sprach ins Leere. Der Fremde war fort.
Nur sein Pferd stand noch da, und seltsamerweise hielt der Zigeuner die Zügel in der Hand, obgleich er weder selbst danach gegriffen, noch der Fremde sie ihm in die Hand gedrückt hatte.
Die alte Blixbah hatte dem Mädchenschänder geweissagt, und keinen Tag darauf war er tot gewesen. Jetzt hatte der Fremde ihm, Romano, mit nahezu den gleichen Worten geweissagt… Furcht sprang ihn
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