0542 - Himalaya-Grauen
Ganges hin. In Flußnähe lag auch unser Ziel.
Mir war Kalkutta nicht unbekannt, ich hatte aber den Eindruck, als wäre es noch schlimmer geworden.
Auch Baxter schüttelte hin und wieder den Kopf. Nur den Fahrer kümmerte das nicht. Er bahnte sich mit Geschick und Glück einen Weg durch den dichten Verkehr. Daß er hin und wieder jemand streifte, daran störte er sich auch nicht.
Und ebenfalls nicht daran, daß man seiner Rostbeule hin und wieder einen Tritt gab.
Ich schwitzte all meine Sünden aus. Kalkutta lag unter einer dunstigen Sonne, die eine feuchte Hitze brachte. Vom Fluß her stiegen dünne Schwaden auf. Dennoch lag auf den Straßen und Wegen ein gelblicher Staub, der als flirrendes Pulver in die Höhe gewirbelt wurde.
Baxter hatte dem Driver erklärt, keine Umwege zu fahren. Möglicherweise hielt er sich daran, denn an einer Straßenkreuzung stoppte er und schaute sich grinsend zu uns um.
»Da sind wir«, sagte er in schlechtem Englisch.
Mark bezahlte in Dollar, was den Inder freute. Als wir ausgestiegen waren, drehte er mitten auf der Kreuzung, ohne sich um die übrigen Verkehrsteilnehmer zu kümmern.
Wir standen inmitten des Lärms, der Gerüche, des Staubs und der brütenden Hitze.
Hier am Fluß standen die unterschiedlichsten Behausungen. Normale Steinhäuser zwischen baufälligen Wellblechbaracken. Im Schatten der Wände lagen Menschen auf dem Boden und dösten vor sich hin. Hunde kläfften, Männer und Frauen schlichen an uns vorbei, und große Kinderaugen starrten uns oft genug hungrig an.
»In dieser verdammten Stadt verhungern die Menschen noch auf der Straße!« keuchte Baxter und schüttelte den Kopf. »Ich kenne Kalkutta von einigen Einsätzen her. Die Hölle kann nicht schlimmer sein.«
Das glaubte ich ihm sogar. Dann drückten wir uns in eine schmale Gasse. Sie führte direkt zum Fluß hinab und endete auf dem breiten Uferstreifen.
Dort brannten trotz der Hitze Feuer, über denen Menschen karge Mahlzeiten kochten. Der Ganges sah dunkelgrau aus. Dazwischen schimmerten braungelbe Streifen. Das Wasser war verschmutzt. An den Ufern standen Frauen und wuschen ihre Wäsche. Aus einer Haustür schleppten zwei Männer eine tote alte Frau. Ein junges Mädchen folgte ihnen weinend.
Wir brauchten nicht bis hinunter zum Ufer. Baxters Informant wohnte im letzten Haus auf der linken Seite.
Das Gebäude gehörte zu den besten. Von außen sah es zwar aus, als würde es jeden Moment einstürzen, aber im Innern konnte man es aushalten. Es war zumindest kühler.
»Was macht er denn offiziell?« fragte ich.
»Slim Homan ist so eine Art von Entwicklungshelfer. Eine Anlaufstation für Menschen mit Problemen.«
»O je, dann kommt er ja nicht mehr ins Bett.«
»Sollte man meinen, John, aber die Menschen bleiben lieber weg, als daß sie mit ihm ihre Sorgen besprechen. Dennoch erfährt er vieles, was andere nicht hören.«
»Auch über Dinge im Ausland?«
»Und wie.«
Wir waren tiefer in das Halbdunkel gegangen. Durch zwei Fenster drang Licht. Es erreichte uns nicht einmal, dafür jedoch eine schmale Tür, die Baxter öffnete.
Drei Stufen gingen wir hinab. Homans Wohnung oder Büro lag nicht im Keller, auch nicht in Parterre, sondern genau dazwischen.
Er hatte uns bereits erwartet.
Da das Gelände zum Fluß hin abfiel, fiel normales Tageslicht durch die beiden breiten Fenster.
Homan hockte am Schreibtisch, wühlte in Papieren und strahlte uns an, als wir den Raum betraten. Er war ein hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren und sonnenbrauner Haut.
»Na, Baxter, daß ich dich mal wieder sehe.«
»Freust du dich?«
»Immer.«
Mark stellte mich vor als einen Kollegen.
»Neu im Verein?« fragte Slim.
»So ungefähr.«
»Na, denn viel Spaß.«
Auf zwei Stühlen fanden wir unsere Plätze. Über uns drehte sich müde ein Ventilator und verteilte die stickige Luft. Fette Fliegen klebten unter der Decke. Es war gut vorstellbar, daß bei Dunkelheit noch andere Insekten aus ihren Höhlen krochen.
»Wollt ihr einen Schluck trinken?«
Ich lehnte ab, Baxter ebenfalls.
»Manchmal kann man diese Scheiße nur mit Whisky aushalten«, erklärte Slim Homan und holte eine Flasche aus dem Schreibtisch.
Er zog den Korken heraus und schüttete sich das Zeug in die Kehle.
Danach wischte er über seine Lippen. »Ich habe mich übrigens umgehört«, erklärte er.
»Und?«
Sein Grinsen wurde breit. »In Bhutan scheint einiges nicht mehr so zu sein wie sonst.«
»Drück dich genauer aus!« forderte
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