0542 - Himalaya-Grauen
sahen wir finstere Gesichter, insgesamt hatte ich den Eindruck, daß der Fall für uns beendet war, bevor er richtig begonnen hatte.
Das stimmte wiederum nicht. Aus zahlreichen zerstörten Fenstern schauten Neugierige. Niemand wagte sich auf die Straße. Viele hatten Angst vor einer neuen Eskalation, doch ein Mann spielte die berühmte Ausnahme. Er erschien im Hauseingang. Blond, groß, etwas kantig wirkend.
Mit einem Blick hatte er die Szene erfaßt. Er sah auch, was mit uns geschehen sollte.
»Njet!« brüllte er.
Alle drehten sich um, auch wir.
Über mein Gesicht glitt ein erleichtertes Lächeln, als ich den Mann erkannte.
Es war Wladimir Golenkow, unser russischer Freund vom KGB!
***
In den nächsten Minuten waren wir nur mehr Statisten. Die große Rolle übernahm Wladimir. Er schiß die Leute zusammen, daß es nur so krachte. Golenkow redete mit Händen und Füßen. Er wies auf uns, auf das Autowrack und zeigte auch auf die Stelle, wo der Fahrer tot und verbrannt gelegen hatte. Man hatte ihn bereits abtransportiert.
Die Beamten nickten. Einige nahmen sogar Haltung an. Wahrscheinlich hatten sie Golenkows Ausweis gesehen. Wladimir stand im Range eines hohen Offiziers beim KGB. Er gehörte zu den Leuten, denen man nichts anhaben konnte. Fortschrittliche Menschen, die mehr Offenheit wollten und weniger Korruption.
Golenkow degradierte die Uniformierten zu Statisten und zu Helfern. Es kam mir vor, als würde er seine Anweisungen noch einmal wiederholen, denn die Leute nickten und ergaben sich gewissermaßen in ihr Schicksal. Golenkow war zufrieden, drehte ihnen den Rücken zu und hatte Zeit, sich um uns zu kümmern.
Suko und ich hatten sich aus allem herausgehalten. Wir lehnten an der Hauswand und mußten die Ereignisse, deren unmittelbare Beteiligte wir gewesen waren, zunächst einmal verdauen.
Wladimir sah mich, ich sah ihn.
Er streckte mir die Hände entgegen, ich ihm meine auch. Dann lagen wir uns in den Armen.
Hier begrüßten sich zwei Männer aus unterschiedlichen Staatssystemen kommend. Doch zwei Männer, die alle Grenzen überwunden hatten und Freunde geworden waren. Wir hatten uns gegenseitig geholfen, das Leben gerettet, so etwas schweißte zusammen.
Was waren da schon Grenzen oder Ideologien, wenn es um die Personen ging? Sie waren so unwichtig wie ein Kropf.
Auch Suko begrüßte er auf die gleiche Art und Weise. Dann trat er zurück und schüttelte den Kopf. »Daß… daß ihr lebt«, flüsterte er, »ich kann es nicht begreifen. Ich hatte gedacht, es wäre aus, als ich die Explosion hörte.«
»Dein Fahrer ist…«
»Ich weiß, John, er ist tot.« Wladimir schloß die Augen und flüsterte die folgenden Worte: »Gigantus, er ist der Schlimmste. Wir haben einen Fehler gemacht. Er ist ein Kuckucksei.«
»Sicher. Und weißt du, wie er verschwunden ist?«
»Nein.«
»Auf einem Tiger!«
Golenkow bekam große Augen. »Sag das noch mal, John. Wie ist er verschwunden?«
»Auf einem Tiger reitend.«
»Und Shao ebenfalls«, fügte Suko hinzu.
»Ihr habt euch nicht getäuscht – oder?«
»Nein, wir konnten es deutlich sehen. Dieser Tiger hat Gigantus gerettet.«
Der Russe lachte auf. »Gerettet, sagst du? Das glaube ich kaum. Den hat niemand gerettet. Ihn braucht niemand zu retten, versteht ihr? Er heißt nicht umsonst Gigantus. Das ist ein Genie, ein Mensch von einem anderen Stern, wenn man ihn überhaupt als einen solchen bezeichnen kann. Wir wollen das nicht auf der Straße diskutieren. Laßt uns hoch in meine Wohnung gehen! Ich könnte jetzt einen Schluck vertragen.«
»Ebenfalls«, sagte ich.
Hintereinander betraten wir den Flur. Während wir die Treppe zu Golenkows Wohnung hochschritten, ließ ich mir den ganzen Fall noch einmal durch den Kopf gehen und dachte daran, wie es überhaupt begonnen hatte und welcher Weg uns nach Moskau, in die Hauptstadt der Sowjetunion, geführt hatte. [1]
Angefangen hatte es für uns bei einem abendlichen Bummel durch London, den Glenda, Suko und ich unternommen hatten. Es war ein herrlicher Tag gewesen, sommerlich warm, einfach wunderbar.
Suko hatte es dann gespürt und sich nicht wohl gefühlt. Ohne großartig Gründe zu nennen, hatte er sich von uns getrennt, allerdings mit seinen Gedanken bei Shao, seiner verschwundenen Partnerin, die nur hin und wieder Kontakt mit ihm aufgenommen hatte.
Glenda und ich waren noch geblieben, erst später in meine Wohnung zurückgekehrt.
Zu einem Schäferstündchen zwischen uns beiden war es nicht mehr
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