0542 - Himalaya-Grauen
Er steht auf der falschen Seite, denn er ist ein Dämon, der Böses will.«
»Nur die Herrschaft!« rief Gigantus.
»Du Verräter!« brüllte Suko, »du verdammter Verräter. Du hast den Namen des großen Buddha entweiht, und du wirst auch die Sonnengöttin ins Verderben ziehen.«
»Ich habe Buddha gekannt! Damals, vor mehr als tausend Jahren, noch bevor ich das Kloster hier baute und auf dem Tiger ritt. Da hatten wir beide bereits Kontakt aufgenommen.«
»Seit ihr Freunde geworden?«
»Ich konnte seinen Namen benutzen.«
»Ja, ich weiß, aber du hast ihn getäuscht. Buddha hätte sich niemals mit einer Gestalt wie dir abgegeben, das glaube mir.« Er wandte sich wieder an Shao. »Bitte, hör mich an, Shao. Du darfst ihm nicht glauben. Er hintergeht dich. Spürst du das nicht?«
»Ich habe meinen Weg gefunden und werde ihn auch weitergehen.«
»Ja, das merke ich. Aber ich erinnere dich an unsere gemeinsamen Zeiten. Auch wenn du mich in Moskau hast töten wollen, um einen letzten Gefallen möchte ich dich noch bitten.«
»Um welchen?«
»Du weißt, daß ich einen Gegenstand bei mir trage, der für mich ungemein wertvoll ist. Komm her und hole ihn dir. Bevor ich sterbe, möchte ich ihn dir übergeben. Vielleicht erinnert er dich irgendwann einmal daran, daß du den falschen Weg eingeschlagen hast. Komm her zu mir und nimm den Stab, wenn du dich nicht fürchtest.«
Shao überlegte.
Es waren sehr spannende Sekunden. Zum erstenmal seit ihrem Erscheinen sah ich auch eine Regung in ihrem Gesicht. Sie dachte sicherlich darüber nach, ob Suko einen Trick vorhatte, und sie fragte ihn auch mit lauter Stimme danach.
»Nein, Shao, es ist kein Trick. Es ist ein letztes Geschenk an dich. Ich habe dich nun endgültig verloren, also ist auch mein Kampf gegen die Wesen der Finsternis sinnlos geworden.«
Gern hätte ich hart widersprochen, doch ich verschluckte meine Worte, weil ich Suko kannte. Er sagte so etwas nicht ohne Grund.
Möglicherweise hatte er einen starken Trumpf in der Hinterhand.
Shao lachte. Es war ein böses Gelächter, das mir gegen den Strich ging. Auch Golenkow meldete sich. »Ist die denn verrückt geworden?« zischte er, »das kann sie doch nicht machen.«
»Ich weiß auch nicht…«
»Endlich!« rief sie, »siehst du es ein. Endlich hast du eingesehen, daß alles sinnlos geworden ist.«
Die Antwort Shaos irritierte mich. Wie konnte sie so überhaupt reden, wo sie auf Amaterasus Seite stand?
»Komm her, Shao!« rief der Inspektor. »Komm bitte zu mir und nimm meinen Stab an dich. Es ist mein Abschiedsgeschenk für dich! Du kennst seine Funktion, ich hoffe, daß du ihn auch weiterhin in meinem Sinne einsetzen wirst. Darum bitte ich dich.«
Diesmal gab Shao keine Antwort. Dafür bewegte sie sich auf die Treppe zu. Sie wollte Sukos Bitte tatsächlich nachkommen.
Was wurde hier gespielt?
Möglicherweise konnte mir Suko eine Antwort geben. Es war still geworden, aber ich sprach so leise, daß diese Stille kaum unterbrochen wurde und nur Suko meine Frage verstehen konnte.
»Was hast du vor? Weshalb willst du den Stab loswerden?«
Er starrte mich an. In seinen Augen las ich, daß er mir keine Antwort geben wollte.
»Bitte, Suko!«
Seine Lippen formulierten die Erwiderung fast lautlos, ich mußte sie schon von seinem Mund ablesen. »Warte ab…«
Er hatte gut reden. Suko, Wladimir und ich waren an Händen und Füßen gefesselt. Die Stricke hatten unsere Bewacher so hart um den Balken geknotet, daß wir sie auch nicht abstreifen konnten.
Mein Interesse konzentrierte sich auf Shao. Sie schritt sehr langsam die Stufen der pyramidenförmigen Treppe hinab, als wollte sie sich bewußt Zeit lassen.
Gigantus rührte sich nicht. Nach wie vor hockte er wie versteinert auf seinem Tiger. Wenn sich jemand seiner Sache völlig sicher war, dann nur er.
Und Shao nahm die letzte Stufe. Noch einen weiteren Schritt mußte sie gehen, um Suko zu erreichen, da er ziemlich dicht am Rand der Stufe lag. Sie blieb neben ihm stehen. Im Vergleich zu dem liegenden Inspektor wirkte sie sehr groß. Shao senkte den Kopf und schaute auf ihn. »Soll ich ihn tatsächlich an mich nehmen?«
»Ja. Wer wäre sonst noch da, wenn wir hier unser Leben aushauchen sollen?«
»Da hat er recht!« rief Gigantus.
Shao nickte. »Gut, wenn du es willst.« Wladimir Golenkow oder mich bedachte sie nicht mit einem Blick. Selbst ich war für sie in diesem Augenblick ein Fremder.
Während des Bückens streckte sie den Arm aus. Dann tastete
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