0542 - Himalaya-Grauen
sich beeilen. »Nur noch Suko!« flüsterte er so laut, daß es John allein hören konnte.
Er gab keine Antwort. Bevor Mark Sukos Fesseln löste, raunte er ihm ins Ohr: »Ich bin es.«
»Klasse…«
Mark säbelte an den Stricken. Für sein Messer war es eine Kleinigkeit, sie zu durchtrennen.
Auch Suko war frei.
Golenkow, Sinclair und Suko hatten gut reagiert und blieben so liegen, wie sie gelegen hatten. Auch die Haltung ihrer Arme und Beine hatten sie nicht verändert. Aus der Distanz betrachtet sah es so aus, als wären sie noch gefesselt.
»Ich gehe hoch!« wisperte Mark noch, bevor er sich in eine andere Richtung wandte…
***
Ich atmete auf, als auch Sukos Fesseln gefallen waren. Mark hatte es tatsächlich geschafft. Ein wahrer Teufelskerl. Trotz seines besonderen Zustands war er durch seine Tat ein hohes Risiko eingegangen. Ich hatte seine letzten Worte vernommen und war gespannt, wie es weitergehen würde.
Das Blut bekam wieder freie Bahn. Es kribbelte, als es wieder durch die Venen rann, der Druck bereitete mir schon Schmerzen, und ich preßte hart die Lippen zusammen, um so manchen Fluch zu unterdrücken. Ähnlich erging es Suko und auch Golenkow.
Gigantus war ebenfalls nichts aufgefallen. Er hatte sich einzig und allein auf Shao konzentriert und natürlich auf deren Abschiedsgeschenk. »Das ist er?« fragte er.
»Ja.«
»Wie funktioniert er?«
Shao schaute auf den Stab. »Er stammt aus Buddhas Händen. Er hat ihn geformt, er hat ihm seinen Odem gegeben…«
Das gefiel Gigantus nicht. Er drückte sich etwas zurück. »Was willst du damit? Weg damit. Nicht Buddha ist dein Partner, ich bin es. Merk dir das endlich.«
»Natürlich.« Shao gehorchte. Sie ließ den Stab in ihrer kurzen Jacke verschwinden.
Das gefiel mir überhaupt nicht. Wenn sie den Stab nicht einsetzen wollte, weshalb hatte sie ihn dann angenommen?
Gigantus alias Padmasambhava übernahm wieder die Initiative.
Auch als er sich bewegte, blieb der Tiger ruhig wie Stein. Er deutete auf uns. Trotz seiner überdurchschnittlich hohen Intelligenz fiel ihm nicht auf, daß wir von unseren Fesseln befreit worden waren. Der Reihe nach wiesen seine Finger auf uns. Jeder konnte sehen, daß sie sich verändert hatten. Die Finger erinnerten an die Enden von Silberpfeilen. Durch Wladimir wußte ich, daß er mit diesen Händen Botschaften aus einem anderen Reich schreiben konnte. Damals war es auf Buddhas Kräfte zurückzuführen gewesen, ich glaubte jetzt an den Geist des Magiers.
Die Silberfinger blitzten im Schein der Kerzen. Einige Reflexe tanzten in unsere Gesichter. Es waren Zeichen, die er allein deutete und sich an Shao wandte.
»Das Schicksal dieser Menschen ist besiegelt. Diejenigen, die uns im Wege gestanden haben, sollen für alle Zeiten ausgelöscht werden. Du kannst wählen, wen du dir als ersten vornehmen willst. Diesmal müssen deine Pfeile einfach treffen.«
»Ja, ich habe verstanden.«
Mit einer schon provozierenden Langsamkeit nahm Shao die Armbrust in die rechte Hand. Geschickt holte sie einen der Pfeile aus dem Köcher und legte ihn auf.
Noch wies deren Spitze in die Lücken zwischen uns, doch Shao begann damit, ihre Hand zu bewegen und natürlich auch die Armbrust. Noch konnte sie sich nicht entscheiden, wen sie aufs Korn nehmen würde. Die Spannung stieg von Sekunde zu Sekunde, und noch immer hatte sie sich nicht entschieden.
Ich schaute auf die Armbrust und dachte an Mark. Er mußte schon längst oben sein. Möglicherweise stand er hinter Shao und Gigantus.
Die Chinesin hatte sich noch immer nicht entschieden. Nach wie vor pendelte die Armbrust. Einmal wies sie auf Wladimir Golenkow, dann auf Suko oder auf mich.
Für wen würde sich Shao entscheiden?
Plötzlich trat sie einen Schritt zurück. Dabei drehte sie sich, so daß sie einen anderen Stellwinkel einnahm. Und plötzlich wies die Spitze der Armbrust auf Gigantus.
Selbst in dem miesen Licht konnten wir erkennen, wie bestürzt er sich zeigte. Er rang sogar nach Worten. Schließlich fragte er laut:
»Was soll das heißen?«
»Ich habe mich entschieden!« erwiderte Shao.
»Doch nicht etwa für mich?«
»Ja, Gigantus, für dich. Nicht meine drei Freunde werde ich töten. Du bist an der Reihe…«
***
Es war die Sekunde der Entscheidung, und sie kam mir verdammt lang vor. Um die Zeit irgendwie zu verkürzen, machte ich den Anfang, bewegte mich und stand auf.
Suko und Wladimir folgten meinem Beispiel.
Wir wurden gesehen, nicht nur von Gigantus. Auch seine
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